Bundesrechnungshof rügt die Bundesagentur für Arbeit

Bundesrechnungshof rügt die Bundesagentur für ArbeitDer Bundesrechnungshof sieht sich veranlasst, der Bundesagentur für Arbeit (BA) eine Rüge zu erteilen.

Hintergrund dafür ist die Berechnung von Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit von Arbeitslosengeld II-Beziehern durch die JobCenter. Es kommt immer wieder vor, das die JobCenter z.B. bei Aufstockern überhöhte Einkommensanrechnung zugrunde legen. Trotz der Tatsache, das nachweislich geringere Einkommen erzielt werden. Weitere Fehler entstehen z.B. durch unzureichende Einbeziehung von Werbungskosten. Das Nachsehen haben die Betroffenen, die dann ihrem Geld hinterherlaufen müssen. Diesen Missstand geht der Bundesrechnungshof in seinem Prüfbericht nach.

Frau Inge Hannemann hat dazu einen beachtenswerten Beitrag auf ihren Blog veröffentlicht. Dankenswerterweise hat sie uns ihren Beitrag für die Veröffentlichung auf unserer Seite zur Verfügung gestellt. Ebenso zwei Dokumente, die sie als Begleitmaterial beigefügt hat. Bei den Dokumenten handelt es sich zu einem um den Prüfbericht des Bundesrechnungshof und zum anderen um das Antwortschreiben der BA. Doch nun lassen wir Frau Hannemann zu Wort kommen:

Bundesrechnungshof rügt Bundesagentur für Arbeit in der Einkommensberechnung bei Hartz IV

Stellen Sie sich folgendes vor: Tag für Tag marschieren Sie zur Arbeit. Der Monat geht dem Ende entgegen und Sie erhalten statt des vereinbarten Lohnes ein paar hundert Euro weniger. Monat für Monat. Was tun Sie? Höflich fragen Sie Ihren Arbeitgeber nach den Gründen. Der Arbeitgeber erwidert, dass er den Durchschnittslohn aller Mitarbeiter zu Grunde legt (Vorstände ausgenommen), um dann einen fiktiven Lohn auszubezahlen. Selbstverständlich mit einem Sicherheitspolster, damit er nicht zu viel bezahlt. Irgendwann kann ja nachbezahlt werden, sofern es der Mitarbeiter bemerkt. Was tun Sie nun? Aufbegehren? Stillschweigen und froh sein, dass Sie überhaupt noch Lohn erhalten und einen Arbeitsplatz inne haben? Nun befinden wir uns in diversen Jobcentern …

Die Rechtslage ist kompliziert und unübersichtlich

Bereits im April rügte der Bundesrechnungshof (BRH) die Bundesagentur für Arbeit bei der Berechnung von Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit von Arbeitslosengeld II-Beziehern (Jobcenter). Dabei prüften sie im letzten Quartal 2012 341 Fälle in fünf Jobcenter der gemeinsamen Einrichtung und drei Optionskommunen. Die Anrechnung von Einkommen stellt bis heute ein größeres Problem in den Jobcentern dar. So ist die Rechtslage kompliziert und unübersichtlich, das Personal und die Qualifizierung zu gering, welches intern zu Komplikationen führt. Betroffen davon sind hauptsächlich die Leistungsberechtigten. Sie erhalten, auch nach Prüfung des Bundesrechnungshofs oftmals zu wenig Geld. Eine Unterdeckung, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, entsteht. Die Folgen daraus erklären sich selbst, wenn zu wenig Geld im Haus ist. Rechnungen können nicht bezahlt werden, Einsparungen im täglichen Leben werden leider zur Gewohnheit und Notwendiges wie Arzneimittel bleiben in der Apotheke.

Höhere Ausgaben können anerkannt werden

Arbeitslosengeld II-Berechtigte können von ihrem Einkommen einen sogenannten Freibetrag in Höhe von 100 Euro absetzen. Ist das Einkommen höher, so können auf Nachweis höhere Kosten durch die Jobcenter anerkannt werden. Darunter fallen Versicherungsbeiträge, Altersvorsorge sowie Ausgaben, die mit dem Einkommen zusammenhängen. Dazu zählen Fahrtkosten oder die Kfz-Haftpflichtversicherung zur Arbeitsstelle. Der BRH bemängelte in 53 Fällen, dass Aufwendungen, ohne entsprechende Nachweise, angerechnet wurden. Umgekehrt unterließen es die Jobcenter jedoch auch, Belege anzufordern oder ließen sie unberücksichtigt, so dass die Kosten unter den Tisch fielen. Ein größeres Problem scheint zu bestehen, wenn das Einkommen schwankt. Die Jobcenter haben dann die Möglichkeit Leistungen vorläufig zu bewilligen und ein monatliches Durchschnittseinkommen festzulegen. Diese müssen begründet sein, was jedoch in 107 Fällen nur unzureichend geschah. Trotz, dass diese mehr als in 100 Fällen ein gleichbleibendes Einkommen aufwies, wurde ein schwankendes Einkommen berücksichtigt. Die Jobcenter setzten entweder ein zu hohes Einkommen an oder eine erneute Prüfung nach dem Bewilligungszeitraum wurde unterlassen. Gravierende Unterdeckungen waren die Folgen daraus. Der BRH erwartet, dass die Jobcenter kein Ermessen haben sollen, ob Leistungen vorläufig bewilligt werden.

Der Umstand, dass in 23 von 97 Fällen die Kosten für die Kfz-Haftpflichtversicherung und Fahrtkosten nicht in das System eingegeben wurden, verminderte bei den Berechtigten das Arbeitslosengeld II.

Als Freibetrag galten die festgesetzten 100 Euro, obwohl der Anspruch höher gewesen wäre. So gab ein Erwerbsloser an, regelmäßig an fünf Arbeitstagen je Woche eine Entfernung von 25 Kilometern zwischen Wohnung und Arbeitsstelle zurückzulegen. Das Jobcenter erfasste die Fahrtkosten von 95 Euro monatlich nicht.1

In mehreren Fällen wurden Aufwendungen, ohne Nachweise geltend gemacht. Die Jobcenter überprüften dieses nicht oder nahmen die Vorjahreswerte zur Berechnung. Zum Vorteil für die Berechtigten, sofern sie im Weiterbewilligungsantrag die Aufwendungen verneint hatten. Weiterhin wurden Beiträge zur Kaskoversicherung oder Schutzbriefe anerkannt. Oftmals fehlte die Überprüfungen bei den Angaben über die notwendige Zertifizierung des Anbieters bei der Altersvorsorge, tatsächliche Höhe oder Überschreitung des Mindesteigenbeitrags. Wie schon bei den Fahrtkosten wurden zum Teil die Beiträge nicht im System erfasst, so dass eine Berücksichtigung, zum Nachteil der Berechtigten, nicht möglich war.

Der BRH empfiehlt hier die strikte Anforderung von Nachweisen sowie das konsequente Eintragen dieser im System. Aufgrund der Komplexität der Altersvorsorge und deren Berechnung wünschen sie sich eine Vereinfachung. Der Vorschlag des BRH lautet dahingehend, dass pauschal drei Prozent vom Bruttomonatseinkommen, mindestens aber fünf Euro monatlich abgesetzt werden sollten. Nachweise über die Ausgaben bleiben jedoch erforderlich.

Vielmehr scheint dem BRH jedoch der Grundfreibetrag in Höhe von 100 Euro aufzustoßen. Er entdeckte eine Bevorzugung gegenüber den Menschen mit einem höheren Einkommen. Die „100-Euro-Jobber“ würden weniger arbeiten und somit sind deren Aufwendungen nicht so hoch; die Anrechnung resp. der Freibetrag bleibt jedoch pauschaliert. Dabei stellten sie fest, dass nur rund 16 Prozent der Leistungsbezieher, mit einem Einkommen über 400 Euro, überhaupt übersteigende Aufwendungen geltend machen. Sie vermuten, dass in den meisten Fällen die tatsächlichen Aufwendungen geringer als der Grundfreibetrag war oder sie den Aufwand mit der Anlage „Einkommen“ und den entsprechenden Nachweisen scheuten.

Das schwankende Einkommen schwankt auch in den Jobcentern

Der Mix aus Allerlei und die Kreativität kennt kaum Grenzen. Die Jobcenter nahmen ein Durchschnittseinkommen an und rechneten jeden Monat neu ab. Anschließend folgte ein monatlich neuer Bescheid mit Nachzahlungen oder Anrechnung von Überzahlungen. Dabei gaben sie oftmals einem persönlichen Sicherheitsdenken den Vorrang und gaben ein höheres Einkommen an, als tatsächlich vorlag. Für die Berechtigten konnten somit von bis zu mehreren hundert Euro an Arbeitslosengeld II fehlen. Nahmen die Erwerbslosen im laufenden Monat eine Tätigkeit auf, wurde der bisherige Bescheid durch einen Vorläufigen ersetzt, teils auch mit Wirkung für die Vergangenheit.

Ein Jobcenter erließ keine vorläufigen Bewilligungsbescheide, sondern bewilligte für den gesamten Zeitraum Vorschüsse nach § 42 SGB I. Auch dann, wenn bereits bestandskräftige Bescheide vorlagen. Auch bei gleichbleibendem Lohn wurden Vorläufige erstellt oder Bescheide auf Grundlage „fiktiven“ Einkommen erlassen. Die Jobcenter benötigten bis zu acht Monate, um vorläufige Bescheide auf endgültige Bewilligungen umzuändern. Selbst nach Überprüfung wurden Bescheide nicht durch Endgültige oder gegebenenfalls in Kombination mit einem Erstattungsbescheid2 ersetzt. Stattdessen flatterte ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid nach dem Individualprinzip der Berechtigten ins Haus. Es geht auch anders herum. Ein fiktives Einkommen wurde im Bewilligungsbescheid angenommen – was jedoch nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprach. Weder wurde der Durchschnitt genommen, noch das in den Vormonaten bezogen Festgehalt berücksichtigt. Allerdings gibt es auch Jobcenter, die vom Durchschnittseinkommen ganz Abstand genommen haben, weil es zu kompliziert ist oder die Widersprüche und Beschwerden durch die Leistungsberechtigten stieg.

Keines der geprüften Jobcenter wandte die verfahrensrechtlichen Regelungen3 uneingeschränkt an. Lieber setzten sie oftmals ein beliebig vorläufiges Einkommen fest, was keinen Bezug zu den tatsächlichen Einnahmen hatte. Und das oftmals zu hoch. Auf die entsprechende existenzsichernde Nachzahlung mussten die Leistungsberechtigten mehrere Monate warten. Der BRH stellt nüchtern fest, dass eine pflichtgemäße Ermessensausübung häufig nicht erkennbar war. Er empfiehlt, in das SGB II eine eigene Vorschrift über die vorläufige Bewilligung von Leistungen in Fällen aufzunehmen, in denen die Höhe des Einkommens noch nicht feststeht. Das eigene Ermessen sollte unterbunden werden, damit das Durchschnittseinkommen rechnerisch korrekt aus den einzelnen Vormonaten berechnet wird. Kundenfreundlichkeit und Transparenz erkennt der BRH derzeit nicht. Weitere Bedarfsunterdeckungen sind zu vermeiden.

Weiterhin macht der BRH darauf aufmerksam, dass die Jobcenter in Zukunft darauf achten sollen, ob die Leistungsbezieher auf ihrer Lohnsteuerkarte die Steuerklasse für geringere Lohnsteuerabzüge eingetragen sind, um so ein höheres Nettoeinkommen zu erzielen. Das wiederum kann zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit führen.

Summa sumarum ergab sich bei der Prüfung eine Gesamtfehlerquote von 53 Prozent. Eine Gewährleistung der ordnungsgemäßen Berücksichtigung von Einkommen ist nicht gegeben und der BRH rät zu einem dringenden Handlungsbedarf.

Dazu die Bundesagentur für Arbeit:

Die vom BRH beanstandeten Verfahrensweisen entsprechen nicht den Weisungen der BA. Absetzungsbeiträge, sofern sie die Höhe von 100 Euro überschreiten und bei einem Bruttoeinkommen von über 400 Euro, nur bei Vorlage entsprechender Nachweise berücksichtigt werden können.4 Die BA weist intern darauf hin, dass geltend gemachte Absetzungen nur auf Nachweise angerechnet werden können. Und überhaupt weisen sie auf sämtliche Hinweise hin sowie auf das Merkblatt Arbeitslosengeld II / Sozialgeld S. 41, Anlage EK.

Den Vorschlag zur Pauschalierung der Altersvorsorge hat der BA so gut gefallen, dass dem BMAS bereits ein entsprechender Rechtsänderungsvorschlag5 unterbreitet wurde.

Bezugnehmend auf die vorgeschlagene Veränderung bei schwankenden Einkommen sieht sich die BA derzeit nicht in der Lage eine Änderung herbeizuführen. Stattdessen verweisen sie auf das Kundenmerkblatt „Hinweise zur Berücksichtigung von Durchschnittseinkommen“, in welcher die Vorteile dieser Berechnung dargestellt werden. Eine interne Arbeitshilfe soll den Jobcentern jedoch zur Verfügung gestellt werden.

Die oftmals fehlerhaften internen Ausführungen der Mitarbeiter in den Jobcentern sollen mit Qualifizierungen und einheitlichen Grundsätzen vermeidet werden und die Nachwuchskräfte der BA werden handlungsorientiert in den Sozialgesetzbücher II und III ausgebildet.

Im Fazit nimmt die BA die Prüfungsmitteilung zum Anlass bestehende Arbeitshilfen zu überprüfen und sofern erforderlich auch Neue zu erstellen. In diesem Sinne – auch alte Hüte sitzen gut – allerdings auf den falschen Köpfen!

1Bei einer 5-Tage Woche sind nach den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur zu § 11, Stand 20. Juni 2011, Ziffer 11.153, 19 Arbeitstage pro Monat anzuerkennen. Somit gilt: 0,20 Euro/Entfernungskilometer x 25 Entfernungskilometer / Tag x 19 Tage = 95 Euro

2Nach § 328 Abs. 3 SGB III

3Regelung vorläufige Leistungen nach § 328 Abs. 1 SGB III; § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II

4Fachliche Hinweise §§ 11, 11a, 11b SGB II – Randziffer 11.165

5Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Wir danken Frau Hannemann recht herzlich für die Freigabe des Textes sowie der Zusendung des Begleitmaterials.

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Eine Antwort zu Bundesrechnungshof rügt die Bundesagentur für Arbeit

  1. Helmut R. sagt:

    Hallo, ich hätte eine Frage: bin hartz4 bezieher und trage mich mit dem gedanken einer selbstständigkeit, da ich in einer privatinsolvenz in der wvp bin, wird mir soviel ich gehört habe höchstwarscheinlich fiktives einkommen an/berechnet, jetzt mal ohne zuschußanträge ect. WER berechnet in meinem fall das fiktive einkommen, ich bin sehr schwer vermittelbar wegen gesundheitlichen problemen das heißt ich darf meinen erlernten beruf nicht mehr ausführen also ungelernt und habe keine fe