Mietobergrenzen – möglicherweise verfassungswidrig?

MietobergrenzenMietobergrenzen nach dem SGB II möglicherweise verfassungswidrig?

Die Mietobergrenzen nach dem SGB II sind nachwievor eine nicht endgültig geklärte Rechtsfrage. Und werden teilweise sehr kontrovers diskutiert. Nunmehr besteht aber die Möglichkeit, in dieser Frage Klarheit zu bekommen. Denn das SG Mainz hat ein Verfahren zu den Mietobergrenzen ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorlegt, ob der § 22 Abs. 1 Satz 1 2.HS SGB II („soweit diese angemessen sind“) mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Dieser Vorlagebeschluss des SG Mainz ist jetzt veröffentlicht worden. Die Sozietät Sozialrecht in Freiburg, RAe Christian L. Fritz und Kollegen, die dieses Verfahren betreibt, hat uns dankenswerterweise gestattet, ihren Bericht dazu unverändert zu übernehmen.

Mietobergrenzen – Der Artikel zum Vorlagebeschluss

Wie in der Einleitung bereits angekündigt, hier nun der Artikel der Sozietät Sozialrecht in Freiburg (Autor Herr RA Roland Rosenow) zu den Mietobergrenzen:

26.2.2015: Begründung des Vorlagebeschlusses des SG Mainz zu den „Mietobergrenzen“ im Rahmen der wirtschaftlichen Grundsicherung liegt vor (SG Mainz, 12.12.2014, S 3 AS 130/14)

Das SG Mainz hat am am 12.12.2014 entschieden, dass § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II insofern verfassungswidrig ist, als der Anspruch auf Übernahme der Aufwendungen für die Unterkunft zwar begrenzt, aber nicht hinreichend bestimmt ist. Die schriftliche Begründung des Vorlagebeschlusses des SG Mainz vom 12.12.2014 liegt nun vor und steht hier zum Download zur Verfügung. Das SG Mainz hat dem BVerfG folgende Frage gem. Art. 100 GG zur Prüfung vorgelegt:

Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB  I [..]  mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG – Sozialstaatlichkeit – und dem sich daraus ergebenden Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums vereinbar, soweit nach dessen 2. Halbsatz die für die Höhe des Anspruchs auf Grundsicherungsleistungen nach §§ 19 Abs. 1, 19 Abs. 3 S. 1 SGB II maßgeblichen Bedarfe für Unterkunft und Heizung lediglich anerkannt werden, soweit die tatsächlichen Aufwendungen hierfür angemessen sind, ohne dass der Gesetzgeber nähere Bestimmungen darüber getroffen hat, unter welchen Umständen von unangemessenen Aufwendungen auszugehen ist?

§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II begrenzt den Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für die Unterkunft mit nur vier Worten: „…, soweit diese angemessen sind“. Die 3. Kammer des SG Mainz hat jetzt entschieden, dass diese Vorschrift dadurch gegen die Verfassung verstößt, dass sie zu unbestimmt ist. Aus ihr lässt sich kein bezifferbarer und damit klagbarer Anspruch auf Leistungen ableiten. Der Gesetzgeber ist nicht befugt, die Ausgestaltung des Anspruchs auf ein soziokulturelles Existenzminimum an die Verwaltung oder die Gerichtsbarkeit zu delegieren. Er ist vielmehr verpflichtet, den Anspruch auf eine ein menschenwürdiges Dasein sichernde wirtschaftliche Grundsicherung als konkreten und bestimmten Anspruch einfachgesetzlich auszugestalten.

Die Tragweite des Beschlusses geht über die Problematik der in der Praxis so genannten „Mietobergrenzen“ weit hinaus: Das SG Mainz setzt sich mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Anspruch auf eine wirtschaftliche Grundsicherung grundsätzlich auseinander. Dabei erweist sich, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Existenzsicherung bislang weder ausgereift, noch widerspruchsfrei ist. Der Beschluss ist damit auch ein wichtiger Beitrag zu der juristischen Debatte um die Frage, wie weit der menschenrechtliche Anspruch auf eine das soziokulturelle Existenzminimum sichernde Leistung reicht.

Besondere Aufmerksamkeit sollten unsere Leser dem letzten Absatz des Artikels schenken. Er gibt einen hoffnungsvollen, perspektivischen Ausblick auf eine für SGB II-Leistungsberechtigte vielleicht bessere Zukunft.

Mietobergrenzen – Weitere Erklärungen für unsere Leser

Im Gegensatz zu einer Verfassungsbeschwerde, die das BVerfG jederzeit ohne Nennung von Gründen „ablehnen“ kann, muss es sich eigentlich mit einer konkreten Normenkontrollklage eines deutschen Gerichtes nach Art. 100 GG beschäftigen. Allerdings gab in der Praxis auch schon Fälle, bei denen das BVerfG versucht hat, das zu umgehen. Wenn das BVerfG partout nicht entscheiden will, erklärt es die Vorlage eines Gerichts einfach für unzulässig, z.B. wegen ungenügender Begründung (wie in dem Verfahren 2 BvL 3/10, das die Rechtmäßigkeit des Solidaritätszuschlages betraf). Allerdings schätzen wir nach dem Studieren der vollständigen Vorlagebegründung des SG Mainz die Situation nicht so ein, dass das BVerfG hier eine unzureichende Begründung konstruieren kann. Denn das SG Mainz hat „seine Hausaufgaben“ gründlich gemacht.

Bekanntlicherweise aber mahlen die Mühlen der Justiz langsam. Es ist daher nicht damit zu rechnen, das alsbald eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu der Verfassungskonformität der Mietobergrenzen nach dem SGB II ergeht. In Hinblick auf die Debatte um die anstehenden Rechtsverschärfungen innerhalb des SGB II wäre das für alle Leistungsberechtigten aber dringend wünschenswert. Vorallendingen deshalb, da es Bestrebungen gibt, innerhalb dieser weiteren „Reform“ des SGB II die anzuerkennenden Kosten der Unterkunft noch weiter pauschalisierend zu reglementieren, als es bisher ohnehin der Fall war (wir berichteten). Ein für Leistungsberechtigte positives Urteil des Bundesverfassungsgerichtes könnte dem Bestreben nach einer weiteren, noch restriktiveren Deckelung der Mietobergrenzen einen Riegel vorschieben.

Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Deutsche Volksweisheit

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