BMAS und der unfassbare Rechtsverstoß

BMASBMAS begeht einen in der deutschen Nachkriegsjustizgeschichte einmaligen Rechtsverstoß

Wie Harald Thomé von Verein Tacheles e.V. in Wuppertal aufmerksam macht, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) dabei, einen in der Nachkriegsgeschichte einmaligen Rechtsverstoß zu zementieren.

Hintergrund sind drei Urteile des Bundessozialgerichtes vom Juli 2014 AZ: B8 SO 14/13 R, B8 SO 12/13  R und B8 SO 31/12 R. Das BMAS untersagt per „Dekret“ den deutschen Sozialleistungsträgern die vorläufige Umsetzung dieser Urteile.

BMAS und das Urteil

Mit dem o.a. Urteil hatte das Bundessozialgericht eindeutig entschieden, dass volljährige Menschen mit einer Behinderung, die im elterlichen Haushalt oder in einer Wohngemeinschaft leben, einen Anspruch auf die Regelbedarfsstufe 1, also 100% Regelleistung, haben. Und nicht gem. den Anlagen zu § 28 SGB XII, bzw.  Einteilungen nach § 8 RBEG (Regelbedarfsermittlungsgesetz) mit Bedarfsstufe 3 „abgefunden“ werden können. Zu betonen ist, dass das BSG die Notwendigkeit sah, die vorgenannten Paragraphen verfassungskonform auszulegen. Es steht einem deutschen Bundesgericht durchaus zu, über die Verfassungskonformität von Gesetzen zu entscheiden. Denn es darf nicht vergessen werden, dass es in einer Demokratie die Rolle der Judikative (Gerichtsbarkeit) ist, sowohl die Legislative (Gesetzgebung), als auch die Exekutive (Verwaltung, ausführende Gewalt) zu kontrollieren.

Weitere Informationen und Erklärungen zu den Urteilen finden interessierte Leser hier.

BMAS und der unfassbare Rechtsbruch

Nunmehr ist das BMAS nach dem Vorliegen der schriftlichen Urteilsbegründungen hergegangen und hat eine Verwaltungsanweisung erlassen, mit der es allen Sozialleistungsträgern zumindest bis Ende März 2015 die Anwendung und Umsetzung dieses Urteils untersagt. Das ist ein einmaliger Vorgang in der deutschen Nachkriegsjustizgeschichte. Ein Ministerium gibt den ihm untergeordneten Behörden die Anweisung, ein Urteil eines deutschen Bundesgerichtes schlichtweg zu ignorieren. Die Tragweite dieses Rechtsverstoßes ist unbegreiflich. Das BMAS fühlt sich anscheinend mittlerweile jeglicher Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Kontrolle entzogen und handelt selbstherrlich.

Hierbei ist allerdings kaum vorstellbar, dass das BMAS ohne Rückendeckung durch die Bundesregierung handelt. Daher darf durchaus bewusst die Frage aufgeworfen werden, ob die Bundesregierung als dem Grundgesetz nach höchstes Exekutivorgan unseres Landes sich noch an die freiheitlich-demokratisch Grundordnung gebunden fühlt. Zudem ist die Frage nach der Verantwortlichkeit von Frau Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles als oberste Dienstherrin des BMAS zu stellen. Es ist nämlich nicht davon auszugehen, dass das BMAS so ein „Dekret“ ohne die Kenntnisnahme und Zustimmung von Frau Nahles erlässt.

BMAS und der unterschwellige Vorwurf

Wer sich die Zeit genommen und das „Dekret“ gelesen hat, wird feststellen, dass die Seiten 16 und 17 so einiges an juristischem Sprengstoff enthalten. Dreist ist der Vorwurf des BMAS in Richtung Bundessozialgericht, dass es wegen angeblicher Verletzung der Vorlagepflicht beim Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter gem. Art 101 Abs. 1 Satz GG konstituiert hat. Mit anderen Worten formuliert: Hier konstatiert ein Bundesministerium gegenüber untergeordneten Behörden dem Gericht, das die genau dieses Ministerium zu kontrollieren hat, Rechtsbeugung. Das ist einmalig.

Besonders scheinheilig ist dabei die Tatsache, dass das BMAS sich in seinen Begründungen auf ein Urteil des BVerfG beruft, dass immerhin 5 Monate nach den Urteilen des BSG ergangen ist. Letztendlich ist das nichts anderes als ein juristischer Winkelzug. Insbesondere der Aufruf des BMAS an die Sozialleistungsträger, unter Berufung auf das jüngste BVerfG-Urteil Verfassungsbeschwerde einzulegen. Zum Glück hat das BVerfG aber die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerden ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Daher bleibt abzuwarten, wie hoch das BVerfG die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Hinblick auf die Kontrollfunktion von Bundesgerichten wertet. Denn es ist unser Auffassung nach unklar, ob die Leitsätze des besagten Urteils auf die drei BSG-Urteile anwendbar sind.

BMAS und die fadenscheinigen Begründungen

Noch selbstherrlicher ist aber die Begründung des BMAS, den Vollzug der drei BSG-Urteile unter Berufung auf die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz auszusetzen. Das hat es unserem Kenntnisstand nach so bisher noch nicht gegeben.

Jedermann will den Amtsschimmel reiten.

Deutsches Sprichwort

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3 Antworten zu BMAS und der unfassbare Rechtsverstoß

  1. @Der ARGE.Schreck sagt:

    Jedes Gericht hat dem Grundgesetz folgend die oberste Priorität in seinen Abwägungen einfache Sachverhalte auf Verfassungskonformität zu überprüfen, notfalls zu korrigieren und schlimmstenfalls zu rügen.

    Oftmals gehen Exekutive und Judikative eine unheilbare Symbiose ein, wonach die Gewaltenteilung ausschließlich dem Finanzsystem geopfert werden soll. Leider fehlt nach der gerichtl. Beurteilung zu Gunsten des Erwerbslosen die anschließende Rüge auf grundsätzlicher Unterlassung, die das JobCenter Essen untersagen lässt bösartige Fehler nicht ein 2. Mal zu wiederholen.

  2. Reni Tenz sagt:

    Silvia Schmidt SPD im Jahr 2011:
    …“Während wir das Ziel des vollen Regelsatzes als unumstößlich vereinbart betrachten und nur die Wege dahin noch offen sind, ist das Bundesministerium für Arbeit und Soziales der Auffassung, dass es in erster Linie um die Ermittlung der Bedarfshöhe von Menschen mit Behinderungen, die gemeinsam mit anderen leben, geht, und dass damit die Höhe des Regelsatzes weiterhin völlig offen ist, so die Bundestagsabgeordnete Silvia Schmidt. … Das ist ein Skandal, … “
    Quelle und kompletter Text:
    http://www.kobinet-nachrichten.org/…../nachrichten/?oldid=26068

    Auch Sigmar Gabriel hatte 2011 (damals noch aus der Opposition heraus) versichert, dass er „das Ziel des vollen Regelsatzes als unumstößlich vereinbart“ ansieht und dass „die Verzögerung der Ausführung … nicht hinnehmbar“ sei.
    Siehe auch Anfragen bei abgeordnetenwatch: http://www.abgeordnetenwatch.de/sigmar_gabriel-778-78116–f430397.html#q430397

    So eine Kehrtwende muss man erst mal hinbekommen!

  3. Christel T. sagt:

    Ich warte die ganze Zeit, daß endlich jemand die Szene mit Pippi Nahles mal zu dem Thema verlinkt:
    https://www.youtube.com/watch?v=gylfmQgtMJc

    Kraß an der Argumentation des BMAS
    (http://www.harald-thome.de/media/files/BMAS-Rundschreiben-2015_3.pdf)
    finde ich auch, daß das Gesetz deswegen weiter angewandt werden soll wie bisher, denn die Auslegung des BSG sei verfassungsmäßig, aber das Gesetz ließe sich eigentlich nicht wirklich verfassungskonform auslegen (weswegen das BSG das BVerfG hätte anrufen müssen und nicht selbst hätte entscheiden dürfen).
    Das Gesetz wird also deswegen weiter angewandt, weil es sich nicht verfassungskonform auslegen läßt.