Urteil des Landessozialgerichts NRW – Erhöhung der Mietobergrenzen in Essen
Ein Bericht von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht Carsten Dams. Am Donnerstag, dem 28.11.2013 hat das Landessozialgericht NRW im Verfahren L 7 AS 1121/13 und 1122/13 ein möglicherweise bahnbrechendes Urteil zur Verbesserung der Situation vieler Leistungsberechtigter im Bereich SGB II gefällt. An der öffentlichen Gerichtsverhandlung habe ich teil genommen und berichte/erläutere kurz:
Das Urteil, dessen schriftliche Begründung noch nicht vorliegt, geht davon aus, dass bei der Bemessung der „angemessenen“ Miete in Essen nicht allein auf die reine Grundmiete (Netto-Kaltmiete) berücksichtigt werden darf, sondern auch die Nebenkosten mit Ausnahme der Heizkosten bis zu einer gewissen Grenze einbezogen werden müssen (Brutto-Kaltmiete). Sind Grundmiete und kalte Nebenkosten in ihrer Gesamtsumme angemessen, so soll es keine Rolle spielen, ob einer der beiden Posten für sich alleine genommen vermeintlich zu hoch wäre. Kurz gesagt kann hier von einer Erhöhung der Mietobergrenzen gesprochen werden.
Dies kann zu einer Übernahme der Kosten der Unterkunft durch die Stadt Essen in einem größeren Umfang als bisher führen und daher für viele Leistungsberechtigte, deren Unterkunftskosten nur gekürzt übernommen werden, eine erhebliche Entlastung darstellen.
Die Grenzen der Nebenkosten ohne Heizung bestimmen sich laut Urteil solange die Stadt Essen keinen eigenen Nebenkostenspiegel erstellt hat nach dem Nebenkostenspiegel für ganz NRW. Und der hat es in sich: Bis zu 1,94 € pro Quadratmeter dürfen’s schon sein. Dabei geht es nicht darum, wieviel Quadratmeter man hat, sondern darum, wie viel Quadratmeter man rechnerisch haben dürfte. Das führt in 2013 zu:
1 Person | 50 qm | max. 97,00 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 230,50 € | Gesamt 327,50 € |
2 Personen | 65 qm | max. 126,10 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 299,65 € | Gesamt 425,75 € |
3 Personen | 80 qm | max. 155,20 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 368,80 € | Gesamt 524,00 € |
4 Personen | 95 qm | max. 184,30 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 437,95 € | Gesamt 622,25 € |
5 Personen | 110 qm | max. 213,40 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 507,10 € | Gesamt 720,50 € |
usw.
In 2014 bedeutet das nach einer leichten – und wahrscheinlich zu geringen – Erhöhung der Mietobergrenzen durch die Stadt Essen (Nur bezogen auf die Grundmiete [=Nettokaltmiete], denn den Rest erkennt die Stadt – noch – nicht an):
1 Person | 50 qm | max. 97,00 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 235,00 € | Gesamt 332,00 € |
2 Personen | 65 qm | max. 126,10 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 305,50 € | Gesamt 431,60 € |
3 Personen | 80 qm | max. 155,20 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 376,00 € | Gesamt 531,20 € |
4 Personen | 95 qm | max. 184,30 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 446,50 € | Gesamt 630,80 € |
5 Personen | 110 qm | max. 213,40 € kalte Nebenkosten plus Grundmiete 517,00 € | Gesamt 730,40 € |
Vieles spricht dafür, dass auch die neuen Grundmieten noch etwas zu niedrig bemessen sind, es empfiehlt sich, eine Beratung auf zu suchen, selbst dann, wenn diese gewährt werden!
Ein Beispiel (2013):
Ansicht der Stadt bisher und noch: | Anspruch nach dem Urteil: | ||
Grundmiete | 270,50 € | Grundmiete | 270,50 € |
Nebenkosten | 55,00 € | Nebenkosten | 55,00 € |
Gesamt | 325,50 € | Gesamt | 325,50 € |
Ergebnis: Zu hoch, Kürzung um 40,00 € | Ergebnis: In Ordnung, volle Übernahme |
Die Stadt Essen hat sich mit dem Urteil noch nicht abgefunden und das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Landessozialgericht hat zwar keine Revision zum Bundessozialgericht zugelassen, diese könnte sich die Stadt Essen aber noch über eine sog. Nichtzulassungsbeschwerde ermöglichen. Die Beschwerde wurde mittlerweile, Mitte Januar 2014, fristgerecht von der Stadt beim Bundessozialgericht erhoben, das Ergebnis bleibt abzuwarten – Aktualisierung folgt.
Eins gilt bereits jetzt: Wenn Ihre Miete nur gekürzt übernommen wird, sollten Sie sich beraten lassen. Hierzu stehen Ihnen die Offenen Hartz4-Rechtsberatungen der BG45 gerne kostenfrei zur Verfügung.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich bei den vorgestellten Zahlen – insbesondere zu den möglicherweise angemessenen Nebenkosten – zunächst nur um eine Tendenz der Rechtsprechung handelt. Sicherer Verlass darauf, dass die Zahlen so bleiben, besteht noch nicht.
Ergänzung:
Mittlerweile liegt das Urteil im Volltext vor, nachzulesen hier. Hartes Brot, aber trotzdem eine spannende Lektüre, um die Hintergründe zu verstehen.
Carsten Dams
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht
Hallo,
in unserer Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG Kassel B 14 AS 355/13 B gegen den Entscheid des LSG Stuttgart Az.: L 12 AS 4799/11geht es um das gleiche Thema im Landkreis Karlsruhe. Mithilfe von „Sozialrecht in Freiburg“ sind wir auf den Dreh mit dem Beriebskostenschpiegel aufmerksam geworden. Ärger hat hier nur unser gewerkschaftlicher Rechtsschutz gemacht. IGM und ver.di lehnten eine Vertretung vor Gericht ohne Begründung ab, deshalb Klage auf Sozialticket. Am 19.12.13 wird am SGKarlsruhe die gleiche Angelegenheit unter
S 14 AS 3743/13 für 1012 verhandelt.
MfG Michael
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Hallo,
wie mir das Jobcenter mitteilt, werden die Mietobergrenzen zum 1.1.2014 etwas erhöht. Bei einem Einpersonenhaushalt werden nun 235,- € statt bisher 230,50 € als Nettokaltmiete berücksichtigt. Bei mehreren Personen fällt die Erhöhung ähnlich aus. Die Berechnung der Bruttokaltmiete erkennt das Jobcenter noch nicht an.
Hallo moviefan,
danke für den zutreffenden Hinweis. Das war noch nicht mit drin – ist es aber jetzt.
Auch die neuen Mietobergrenzen der Stadt Essen sind sehr kritisch zu betrachten. Die Stadt rechnet hier mit einem Quadratmetermietpreis von 4,70 € und man kann sehr gut darüber streiten, ob dies nicht ein neuer „Rechentrick“ zu Lasten der Leistungsberechtigten ist.
Die Bruttokaltmiete wird tatsächlich noch nicht beachtet, dennoch sollte jeder, dem diese Berechnung Vorteile bringen würde, sich beraten lassen, denn zum Bsp. die Mehrleistungen für 2012 sind schon dann verloren, wenn man sich nicht noch in 2013 darum gekümmert hat.
Sehr schade, wenn Ansprüche auf existenzsichernde Leistungen zu Gunsten der Stadtkasse verfallen. Beratung hilft ;-)
Mit besten Weihnachtsgrüßen
Carsten Dams
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht
Hallo Herr Dams,
Ich würde mich sehr freuen, wenn sobald die Urteilsbegründung (schriftliches Urteil) des LSG NRW vom 28.11.2013 vorliegen wird, Sie sie den Nutzerinnen und Nutzern dieser Seite als PDF Dokument zur Verfügung stellen könnten. Ihr Vorgänger, Herr Häußler, hat dies bei wegweisenden Urteilen in der Vergangenheit getan. War sehr hilfreich! Auf ’sozialgerichtsbarkeit.de‘ konnte ich leider noch nichts finden. Wir, die Nutzerinnen und Nutzer dieser Seite – ich hoffe, ich spreche jetzt im Namen vieler hier – würden auch gern über den Stand der Dinge in bezug auf die Nichtzulassungsbeschwerde informiert werden.
Einen guten Rutsch ins neue Jahr
M
Hallo moviefan,
mache ich gerne, sobald das Urteil vorliegt bzw. verlinke entsprechend.
Eins muss ich aber kurz richtigstellen: Der Kollege Häußler ist nicht „mein Vorgänger“ sondern berät nach wie vor für die BG45, nur sind wir eben zu zweit, das aber auch schon seit mehr als zwei Jahren.
Auch Ihnen einen guten Rutsch!
Ergänzung: Link ist da!
Beste Grüße
Carsten Dams
Hallo zusammen,
die Stadt Essen hat gegen die o. g. Urteile beim Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde eingereicht.
Diese ist dort seit dem 17.1.2014 anhängig und wird unter dem Aktenzeichen:
B 4 AS 17/14 B geführt.
Eine Entscheidung ist nicht vor April dieses Jahres zu erwarten.
Wir müssen uns also noch in Geduld üben. Und Geduld, so sagte meine Oma immer, bringt Rosen. :)
M
Über die Nichtzulassungsbeschwerde (B 4 AS 17/14 B) hat das Bundessozialgericht gestern eine Entscheidung als Beschluß ohne mündliche Verhandlung gefällt. Allerdings, wird die Öffentlichkeit erst nach Zustellung an die Beteiligten vom Ausgang der Sache erfahren. Das wird in ca. einem Monat der Fall sein.
Vielleicht haben die Herren Rechtsanwälte einen besseren Zugang zu den so wichtigen Informationen?
Herzliche Grüße
M
Hallo,
wie wir alle Anfang der Woche im Rechtsprechungsticker für KW 19 (dort Punkt 7) der Seite http://tacheles-sozialhilfe.de lesen konnten, hat das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde der Stadt Essen zurückgewiesen.
Nun stellt sich die Frage: Kann die Stadt Essen einen eigenen Betriebskostenspiegel ins Leben rufen und diesen auch noch rückwirkend bis Anfang 2012 gelten lassen? Das würde für alle, die Überprüfungsanträge und Widersprüche eingelegt haben, bedeuten, daß sie keine Chance auf Erfolg haben, denn es ist davon auszugehen, daß der so von der Stadt unter Hinzuziehung des Gutachterausschusses erstellte Betriebskostenspiegel nicht auf 1,94 €/qm lauten wird, sondern auf höchstens 1,30-1,35 €/qm.
Gibt es irgendeinen Paragraphen, der der Stadt es verbieten kann,
so einen im nachhinein erstellten Betriebskostenspiegel rückwirkend einzusetzen?
Können Betroffene darauf pochen, daß maßgeblich ist, was zur Zeit der Bewilligung der Leistung gegolten hat? Das wäre in der Tat der NRW Betriebskostenspiegel, der bekanntlich auf 1,94 €/qm lautet.
Viele Grüße
M
Gibt es schon eine Aktualisierung?
ja, gibt es:
http://www.essen-jobcenter.de/index.php?cm_id=leistungshoehe
2. Angemessene Unterkunftskosten …
Es gibt einen neuen Betriebskostenspiegel 2013 für NRW.
Die Grenze von 1,94 € pro m² hat sich erhöht auf 2€.
http://www.mieterbund-nrw.de/fileadmin/user_upload/redaktion/BKS/BKS_2013_NRW.pdf
Das sind 0,06 *50 = 3€, usw mehr.