Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

EntschädigungEntschädigung bei überlanger Verfahrensdauer

Das BSG hat in einem aktuellen Terminbericht in drei Verfahren Grundsatzentscheidungen zu der gesetzlichen Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer gem. § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG bekanntgegeben, die für alle SGB II-Leistungsberechtigten von imminenter Bedeutung sind. Denn seit Dezember 2012 besteht die Möglichkeit, Sozialgerichte, die zu langsam arbeiten, in Regress dafür zu nehmen.

Entschädigung bei überlanger Verfahrensdauer – Grundsätzliches

Zuerst einmal ist anzuführen, dass das BSG bereits am 03.09.2014 in einem Grundsatzurteil (B 10 ÜG 12/13 u.a.) entschieden hat, dass jeder Sozialgerichtsinstanz eine „angemessene Bearbeitungsfrist“ von 12 Monaten zu gewähren ist. Das BSG nennt diese Frist eine „Vorbereitungs- und Bedenkzeit“.

Desweiteren hat es einige „Spielregeln“ aufgestellt, die bei entsprechenden Klageverfahren zu berücksichtigen sind:

Laut den vom BSG getroffenen Feststellungen lässt sich die Frage, wie lange ein Verfahren vor dem SG dauern darf, nicht nach dem „Schema F“ beantworten. Vielmehr müsse das für die Entschädigungsansprüche zuständige Landessozialgericht in jedem einzelnen Verfahren gründlich ermitteln, welche Gründe zu der langen Laufzeit geführt haben.

Denn die Gerichte hätten bei ihrer Prozessleitung einen „weiten Gestaltungsspielraum“. Sie seien zudem nicht in der Lage, alle eingehenden Verfahren gleichzeitig und unverzüglich zu erledigen. Sie hätten daher unter Beachtung des effektiven Rechtsschutzgebotes über die Reihenfolge der „Abarbeitung“ zu entscheiden. Eine Überschreitung der Zeitspanne von einem Jahr sei auch noch vertretbar, wenn diese auf „aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruhe“ oder dem Kläger, bzw. dessen Vertreter anzulasten sei. (Hinweis: Hiermit sind Verzögerungen durch zu späte Erwiderungen, Stellungnahmen, usw. gemeint) Ansonsten können nur noch „besondere Umstände“ des Einzelfalls eine längere Bearbeitungszeit rechtfertigen.

Entschädigung – BSG B 10 ÜG 1/13 R

Da das Bundessozialgericht seine öffentlich zugänglichen Entscheidungen über das Rechtsportal juris.de veröffentlicht, erfolgt die Zitierung aus diesem Bericht:

Vorinstanz LSG Halle – L 10 SF 5/12 ÜG

Der Senat hat das Urteil des Entschädigungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Halle zurückverwiesen.

Beide Beteiligte waren mit ihrem Rechtsmittel erfolgreich, weil sich auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts nicht entscheiden lässt, ob und ggf. in welcher Höhe ein Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG besteht. Die zur Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens ergangene Entscheidung des BVerfG entbindet das Entschädigungsgericht nicht von der Pflicht, für jeden Kalendermonat zu untersuchen, welche Schritte zur Verfahrensförderung die Ausgangsgerichte unternommen haben. Im Rahmen seiner abschließenden Gesamtabwägung wird das LSG zudem darüber zu befinden haben, welche Vorbereitungs- und Bedenkzeit den Gerichten angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens noch zuzubilligen war.

Kommt das Entschädigungsgericht dabei erneut zu dem Ergebnis, das Verfahren habe unangemessen lange gedauert, spricht nichts gegen seine Vorgehensweise, einen Nicht-Vermögensnachteil der Klägerin zu vermuten und als Entschädigung den gesetzlichen Regelbetrag von 1200 Euro pro Jahr der Verzögerung festzusetzen. Die Anschlussrevision konnte nicht mit der Ansicht durchdringen, eine juristische Person könne keine immateriellen Nachteile erleiden; zumindest stehe ihr generell keine Entschädigung in Geld zu – ausreichend sei stets die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer.

Entschädigung – BSG B 10 ÜG 11/13 R

Vorinstanz LSG Mainz – L 4 SF 40/12 EK AS

Die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision des beklagten Landes waren im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich.

Für eine abschließende Entscheidung über den Entschädigungsanspruch fehlen Feststellungen zur Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Bei der Gesamtwürdigung ist dem Ausgangsgericht nach der jüngeren Senatsrechtsprechung jedoch u.a. in der Regel eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten Vorbereitungs- und Bedenkzeit zuzubilligen. Das LSG Mainz muss auch erneut darüber entscheiden, ob die Klägerin einen Nachteil erlitten hat, der in Geld zu entschädigen ist. Entgegen der Rechtsauffassung des LSG lässt es das Gesetz nicht zu, die Entschädigung grundsätzlich auf den Betrag des Streitwerts zu kappen, wenn und soweit die jährliche Entschädigungspauschale von 1200 Euro den Streitwert des überlangen Ausgangsverfahrens um ein Vielfaches übersteigt.

Nur in atypischen Sonderfällen eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, von der jährlichen 1200-Euro-Pauschale nach oben oder nach unten abzuweichen. Hierzu bedarf es weiterer Feststellungen des Landessozialgerichts.

Als atypischer Sonderfall gelten eigentlich nur Verfahren mit außergewöhnlich geringer Bedeutung, wovon im Bereich des SGB II aber eher selten ausgegangen werden kann. Viel bedeutender ist aber die Feststellung des BSG, dass die gesetzliche Entschädigung nicht von der Höhe des Streitwertes abhängig ist und auch nicht aufgrund eines vorgeblich zu Geringen gedeckelt werden darf.

Entschädigung – BSG B 10 ÜG 7/14 R

Vorinstanz LSG Neubrandenburg – L 12 SF 47/13 EK U WA

Das BSG hat die an den Kläger zu zahlende Entschädigung geringfügig abgesenkt und die Revision des beklagten Landes im Übrigen zurückgewiesen.

Das LSG Neubrandenburg hat den Gesamtzeitraum des Verfahrens zutreffend ermittelt und die für eine Prüfung der Angemessenheit der Verfahrensdauer bedeutsamen Gesichtspunkte beachtet. Das Landessozialgericht ist zudem, soweit es um die Würdigung dieser Prozessleitung geht, im Grundsatz von einem zutreffenden richterlichen Überprüfungsmaßstab des Entschädigungsgerichts sowie dem Erfordernis einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände ausgegangen. Es hat dabei den Ausgangsgerichten im Ergebnis auch zu Recht für jede Instanz eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit zugestanden. Auf dieser Grundlage hätte es allerdings dem Sozialgericht in der ersten Instanz des Ausgangsverfahrens weitere sechs Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit zubilligen müssen. Insoweit war die Entschädigungsforderung gegen das beklagte Land daher zu reduzieren.

Dagegen durfte das Entschädigungsgericht die Vorbereitungs- und Bedenkzeit für die Berufungsinstanz im Ausgangsverfahren auf lediglich drei Monate kürzen, weil das Ausgangsverfahren bis dahin bereits fünf Jahre gedauert und während drei Jahren überhaupt nicht gefördert worden war. Daher traf das Ausgangsgericht eine gesteigerte Pflicht, das Verfahren nachdrücklich und beschleunigt zu fördern.

Das Entschädigungsgericht hat dem Kläger auch zutreffend eine von Klageerhebung an zu verzinsende Entschädigung in Geld zugesprochen. Dass seine Klage auf Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung am Ende erfolglos blieb, mindert weder maßgeblich ihre Bedeutung noch das Recht auf zügige Entscheidung darüber. Für eine Entschädigung in Geld sprechen zudem die im Verfahren zutage getretenen Hinweise auf eine strukturelle Überlastung der Sozialgerichte des beklagten Landes während des Ausgangsverfahrens.

Wichtig bei diesem Urteil auch für SGB II-Leistungsberechtigte ist, dass das BSG festgestellt hat, dass die Erfolgsaussicht einer Klage bei ihrer Erhebung kein Maßstab für eine Beurteilung ist, ob ein Entschädigungsanspruch bestehen könnte.

Entschädigung – Weitere Informationen

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