Der Erfolg des Bürgerbegehrens

Der Erfolg des Bürgerbegehrens – mehr als ein Nein zum 123 Millionen-Projekt.

Und: Wenn man bei der WAZ schon nicht ehrgeizig ist, sollte man wenigstens seriös sein.

Als die Mehrheit der Teilnehmer am Bürgerbegehren Nein zum Großprojekt „Messeertüchtigung“ (eine seltsame Wortschöpfung…) sagte, da hatten wohl viele mehr im Sinn, als nur dem Messe-Größenwahn der Stadtoberen einen Riegel vorzuschieben. Die politischen „Offenbarungen“, die im Vorfeld dieser Entscheidung standen, waren Grund genug, der Stadtspitze ein deutliches Misstrauen in ihre Integrität zu signalisieren.

Wir erinnern uns:

  • Die Entsorgungsbetriebe der Stadt (in der Spitze Parteifreunde des Oberbürgermeisters) verballern das Geld der Bürger nach Gutsherrenart. Beförderungen, Fußballkarten, Beraterverträge – das alles wird mal eben so im Hinterzimmer (oder Sternerestaurant) über den Tisch geschoben. Amtsmissbrauch wird mit Vertragsverlängerung honoriert, und der OB unterschreibt Vereinbarungen, von denen er nichts gewusst hat (wobei man hier feststellen muss, dass eine Lüge ebenso schlimm ist wie die mögliche Wahrheit dieses „Wusste-ich-nicht-Oberbürgermeisters“).
  • Ein Ratsherr zockt jährlich 200.000 € für eine nicht genauer beschriebene Beratertätigkeit seiner 1-Personen-Firma ab – das würde sich vielleicht Roland Berger trauen, aber ein Ratsherr aus Essen Bergerhausen, von dem man über diesen einträglichen Job hinaus eigentlich nie was gehört hat? Und was die Vermutung nahelegt, dass wir hier nur die Spitze des Eisbergs sehen, weil andere so schlau sind, sich nicht erwischen zu lassen.
  • Das JobCenter der Optionskommune zeichnet sich durch chronische Inkompetenz aus. Beträchtliche Summen, die für Hartz-IV-Berechtigte gedacht sind, versickern im kommunalen Haushalt.
  • Essen hat den geringsten Anteil an Sozialwohnungen in NRW – dafür werden Luxuswohnungen subventioniert und Bürogebäude geschaffen, die offenbar niemand mehr mieten mag (man fahre mal durch Rüttenscheid oder die Ruhrallee entlang und zähle die „Zu-vermieten-Schilder).
  • Und was ist das überhaupt für ein „Joint-Venture“ bei dem eine Holding in Denver / USA für die Messe zwar abkassiert, aber nicht investiert??? Und das noch bis 2032? Klingt recht abenteuerlich.

Misstrauen weckte die gnadenlose Kampfpropaganda der WAZ Essen. Der Eindruck, dass da ein Hund ganz verbissen um einen abgenagten Knochen kämpft, mochte sich nicht wegschleichen.
Kaum ein Tag, an dem nicht deutlich gefärbte Artikel über die Wohltaten der Messe und die Befürworter ihrer „Ertüchtigung“ erschienen. Es fing an mit den 3.500 Arbeitsplätzen, die der Messeumbau mit sich bringen würde – aber das versickerte im Laufe der Zeit, weil wohl niemand einen 14-Tage-Job für StudentInnen als PromoterInnen ernsthaft als Arbeitsplatz bezeichnen wollte. Dann kamen „Zweifel am Gutachten den Professors aus Chemnitz“ (der hatte die Nummer mit den Arbeitsplätzen auch deutlich angezweifelt): Was für eine Überschrift! Gutachten aus Chemnitz! Na – da assoziiert man doch Ossis von der polnischen Grenze! Zweifel am Professor! Also: Zweifelhafter polnischer Professor? Eine gut durchgeplante Assoziationskette – die aber nicht funktioniert hat.

Und nun nach dem Erfolg der Messegegner geht’s munter weiter:
Wir doofen Bürger verstehen die Komplexität der Probleme nicht. Aha. (Andernfalls hätte es was von „Verantwortungsbewusstsein der Essener Bürgerinnen und Bürger“ zu lesen gegeben.)  Aber so? Bürgerentscheide sind genauso doof wie die Bürger. Sollte man nicht machen, wenn man nicht weiß, dass man gewinnt. (Auf der Seite Rhein – Ruhr derselben Zeitung vom selben Tag konnte man übrigens von einem gewissen Prof. Korte, Politikwissenschaftler der Gesamthochschule Duisburg – Essen die interessante Auffassung lesen, dass Bürgerentscheide den Gebildeten und Besserverdienern nutzen, weil sie zu den Abstimmungen gehen – was denn nun – gebildete Besserverdiener sind zu doof für komplexe Fragestellungen? Um das zu verstehen,  bin nun ich wieder zu doof. Ist vielleicht einfach zu komplex für mich.)

Dann kam’s: die Reifenmesse verschwindet nach Köln. Will sie aber schon seit März 2013 und hat das auch angekündigt. Ein paar Tage später will sie das doch nicht, lediglich der Verband, aber nicht die einzelnen Aussteller.

Überhaupt – was treibt diese Messegesellschaft jetzt, wenn sie sich nicht um die Anwerbung neuer Kunden bemüht? Das scheint ja nun völlig ausgeschlossen zu sein. Sitzen die also in ihren Büros, bezahlt von uns allen und jammern über unser mangelndes Verständnis für die Komplexität?
Weiter: Hotels wollen ihre Ausbaupläne stoppen. Welche? Einige (welche?) „Hoteliers streichen Millionenprojekte“ liest man schockiert in der Überschrift. Ohne Messe macht das alles keinen Sinn – muss ja auch nicht, denn von der Schließung der Messe hat bislang noch niemand geredet. Und bekannt ist auch, dass Essener Hotels sehr gut von der Messe Düsseldorf profitieren, denn sie können die Düsseldorfer Preise noch immer unterbieten, und der eine oder andere Hotelier hat auch schon begriffen, dass es klug ist, beim Nachbarn ein wenig (Ab-)Werbung zu betreiben. Und die Jobs in Hotels? Zimmermädchen (!) auf 400-€-Basis oder Nebenjob als StudentIn, immer gern gesehen Folkwangstudenten als Barpianisten und osteuropäische EinwanderInnen, die für 400 € auch 10 Stunden pro Tag arbeiten.

Man kann sich ausmalen, was wirklich hinter dem Engagement für den Messeausbau steckte: jede Menge Kohle für Konzeptentwickler (man weiß immer nicht so recht, was die eigentlich treiben, es ist auf jeden Fall nicht billig!), Provisionen für dies und das – und ein ganzer Apparat, der aufrechterhalten wird, um ein großes Krokodil Messe zu füttern, das sich bei genauerem Hinsehen bestenfalls als eine sich stets selbst vervielfältigende Bürokratieamöbe entpuppt.

Es gibt ein seltsames Parteienkonglomerat, das längst aus den Augen verloren hat, was eine Stadt zur lebenswerten und liebenswerten Stadt macht: ihre Parks und ihre Schrebergärten, ihre Unis und ihre Grundschulen, ihre Kindergärten und ihre Straßenbahnen, ihre Handwerker und ihre Profs, ihre Ärzte und Klempner, ihre Jobs und ihre Arbeitslosen, ihre Außenseiter und ihre Paradiesvögel und ihre … Vielfalt, die jedem Raum gibt, ohne ihn einem anderen zu klauen – Leben halt in einer Stadtgesellschaft, die darunter nicht nur ihre kleinkarierte, geldversessene Elite der Kleinkrämer meint, die glaubt, dass Hochhaus und Metropole dasselbe sind.

Das ist wohl die Ansage, die Herr Paß und seine Partei- und Gesinnungsfreunde anderer Parteien mit dem Nein zur Messe-„Ertüchtigung“ kassiert haben. Misstrauen und Ablehnung in eine selbsternannte Elite, deren Kennzeichen das kleine Karo im blauen Jackett ist…

Sonja Kantig

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Eine Antwort zu Der Erfolg des Bürgerbegehrens

  1. Veltepetter sagt:

    Chapeau!