JobCenter der ARGE Essen – Barrierefrei?

Ergebnis der Untersuchung auf Behindertenfreundlichkeit

Am 17.Juni 09 hat die AG Runder Tisch „Hartz IV Muß Weg“ die JobCenter in Essen in Augenschein genommen. Nachdem alle uns bekannten JC begutachtet wurden, ist festzuhalten, dass zwar Bemühungen sichtbar sind, behindertenfreundlich zu sein, aber ein freier Zugang noch nicht überall verwirklicht ist.
In allen JC ist für Blinde/stark Sehbehinderte und Schwerhörige/Gehörlose wenig Raum. Die Brailleschrift (Blindenschrift) fehlt, und Hörgeschädigte müssen sich selbst um einen Dolmetscher (Gebärdensprache) bemühen.
Bis auf JC West, gibt es in keinem JC eine Spielmöglichkeit für Kinder.
Ein Wickelraum, außer in der Bismarckstraße, und eine Stillecke wurden auch in keinem JC gefunden.

Tabelle zu den einzelnen JobCentern

Nun die JC im Einzelnen:

JC Nord – Ost (Borbeck Germaniastr.)
Die Eingangstür ist für Rollstuhlfahrer ohne Hilfe nicht zu öffnen. Ebenso ist der Empfang für diese Personengruppe nicht geeignet, da die Tresen viel zu hoch sind, und ein niedriger Tisch fehlt.
Ebenso fehlt die Behindertentoilette.

JC Mitte – Nord (Lützowstr.)
Vorbildlich ist hier die Rampe für Rollstuhlfahrer, da sich diese direkt am Behindertenparkplatz befindet. Die Eingangstür ist aber ohne Hilfe nicht zu öffnen. Ebenso ist der Fahrstuhl schlecht zu bedienen. Eine Behindertentoilette ist vorhanden. Der Türöffner für diese Toilette ist auch gut erreichbar.
Die Tresen sind aber für Rollstuhlfahrer zu hoch.
Der Sanitärbereich ist in diesem JC gut, da die Toiletten geräumig und sauber sind.

JC Nord – Ost (Schwanhildenstr.)
Dieses JC ist für Behinderte gänzlich ungeeignet. Schon der Hauseingang ist mit Treppen versehen. Dafür gibt es einen Behindertenparkplatz direkt neben dem Eingang. Da eine Rampe fehlt, haben hier gehbehinderte Menschen keine Möglichkeit ins Haus zu kommen. Aber es kommt noch schlimmer. Im Haus selbst sind keine Fahrstühle, sondern nur Treppen. Eine Beratung für Behinderte ist hier ausgeschlossen, da sie nicht zu den Büros kommen. Deshalb benötigt man hier keine Behindertentoilette. Der Sanitärbereich ist hier sehr klein gehalten, und wirkt sehr ungepflegt.

JC Nord (Altenessener Str.)
Hier gibt es einen Behindertenparkplatz und auch eine Rampe für Gehbehinderte. Anzumerken ist dabei, dass der Parkplatz sich vor dem JC befindet, die Rampe aber weiter entfernt ist. Auch hier benötigen Rollstuhlfahrer Hilfe beim Öffnen der Eingangstür. Es ist zwar ein Fahrstuhl vorhanden, aber dieser ist für Rollstühle viel zu klein.
Der Empfang ist ebenfalls ungeeignet. Schon ein Kinderwagen füllt den Fahrstuhl vollständig aus. In diesem JC gibt es keine Behindertentoilette, dafür sind die Toiletten aber spartanisch eingerichtet, was vor allem für Seife und Handtücher gilt. Toilettenbrille? Was ist das denn?

JC Ost (Dreiringstr.)
Es sind ausreichend Parkplätze vorhanden, ebenso befindet sich ein Behindertenparkplatz direkt vor dem Eingang. Die Eingangstür ist zwar ebenerdig, aber für Rollstuhlfahrer nicht zu öffnen. Es sind zwar Fahrstühle vorhanden, dürften aber bei Rollstuhlfahrern Platzangst auslösen.
Die Tresen im Empfang sind auch hier zu hoch. Es gibt zwar eine Besuchertoilette, aber hier fehlen ebenfalls Seife und Handtücher.

JC Mitte (Bernestr.)
Auch hier gibt es Behindertenparkplätze direkt vor dem Eingang. Der Eingang ist ebenerdig, und die Tür hat eine Klingel für Rollstuhlfahrer. Im JC sind behindertengerechte Aufzüge vorhanden. In diesem JC gibt es eine Behindertentoilette, und der Schlüssel zum Öffnen ist erreichbar.
Die anderen Toiletten sind zwar sauber, aber auch hier fehlen Seife und Handtücher, jedenfalls bei den Damen; bei den Herren war alles vorhanden.
Die Tresen im Empfang haben einen extra Schalter für Rollstuhlfahrer.

JC Süd (Bismarckstr.)
An diesem JC fehlen Behindertenparkplätze. Dafür hat die Eingangstür eine Klingel, damit Hilfe zum Türöffnen herbeieilt. Auch dieses JC ist auf Rollstuhlfahrer vorbereitet. Aufzüge sind vorhanden und auch Rollstuhlgerecht. Eine Besonderheit dieses JC ist, dass es nicht nur eine Behindertentoilette hat, sondern auch ein Wickelraum vorhanden ist.
Die anderen Sanitärräume sind zwar sauber, aber auch hier wird an Seife, Handtüchern und Toilettenpapier gespart.
Der Empfangsbereich umfasst mehrere Räume, die mit Schreibtischen ausgestattet sind.

JC West (Altendorfer Str.)
Auch hier gibt es keinen Behindertenparkplatz. Zum Öffnen der Eingangstür benötigt man auf jeden Fall Hilfe. Eine Behindertentoilette ist vorhanden. Der Fahrstuhl ist auch für Rollstuhlfahrer benutzbar.
Die Tresen beim Empfang sind zwar nicht so hoch wie in den anderen JC, aber für Rollstuhlfahrer nicht geeignet.
Die Besonderheit dieses JC ist, es steht Spielzeug für Kinder bereit.

Kommentar

Wir haben uns in unserer Untersuchung auf RollstuhlfahrerInnen konzentriert, weil bei dieser Personengruppe Barrieren oder eben ungehinderter Zugang am augenscheinlichsten sind.
Wir beobachten bei unseren JobCenter Besuchen, entweder als Begleitung oder in eigener Sache, dass nicht nur Gehbehinderte mit Rollator oder Unterarmgehstützen es schwer haben, sondern auch Menschen mit Krankheitsbildern, die nicht auf den ersten Blick zu erkennen sind. Das JobCenter in der Schwanhildenstr. zum Beispiel ist mit den Treppen auch für Herzkranke und Asthmatiker oder Rheumatiker, die noch ohne Hilfsmittel auskommen, eine schlichte Zumutung, menschenunwürdig.

Mütter und Väter mit Kinderwagen oder kleinen Kindern sind natürlich nicht behindert, werden aber über die Baulichkeiten behindert. Leider erleben wir, dass Mütter öffentlich stillen müssen und ihre Säuglinge und Kleinkinder auf Stühlen und Bänken, den Blicken aller preisgegeben, wickeln müssen, eine schlichte Zumutung, menschenunwürdig.

Der Zugang zu sauberen Toiletten sollte in einer Zivilgesellschaft selbstverständlich sein, ist es auch in allen Behörden der Stadt Essen, außer in den JobCentern der ARGE. Zum Monatsanfang sind die JobCenter aus bekannten Gründen stark frequentiert, die durchschnittliche Wartezeit beträgt zwei Stunden. Menschen mit Bluthochdruck, Hochschwangere, denen auch gerne mal ein Ein-Euro-Job angeboten wird, Männer mit Prostatabeschwerden, um nur wenige Beispiele zu nennen, müssten während der Wartezeit öfter ein WC aufsuchen, WCs in teilweise katastrophalem Zustand, eine schlichte Zumutung, menschenunwürdig.

Antidiskriminierungskonvention und Grundgesetz

Im Oktober 2008 hat das Bundeskabinett die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ratifiziert, der deutsche Bundestag und der Bundesrat stimmten zu und ist somit am 26.März 09 in Kraft getreten und völkerrechtlich verbindlich. Fühlt sich jemand in seinen Rechten als Behinderter verletzt, kann er sich an den Kontrollausschuss der UN wenden, wenn im eigenen Land alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind. Das Besondere an dieser Menschenrechtskonvention ist, dass in 40 Paragrafen die Diskriminierung Behinderter in allen Lebensbereichen verbietet.
Der Wortlaut dieser Antidiskriminierungskonvention ist einzusehen unter:

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Papier ist geduldig.

Artikel Eins unseres Grundgesetzes: [Schutz der Menschenwürde]
„Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Aber, Papier ist geduldig.

Auf diesen Artikel gründen sich alle Sozialgesetzbücher, auch das SGB II, obwohl Hartz IV Berechtigte in der Praxis durchaus zu der Erkenntnis gelangen, dass vor Betreten eines JobCenters Menschenwürde, Grundgesetz, Rechtssicherheit und Verstand abgegeben werden müssen.

Recht und Praxis im Umgang mit Behinderung

Mit Einführung des SGB II im Januar 2005 sind parallel auch Gesetze der Rentenversicherungen geändert worden, dramatisch in der Auswirkung für behinderte und chronisch kranke Menschen, wie z.B. die Definition der Erwerbsunfähigkeit. Erwerbsfähig ist jede Person, die 3 Stunden täglich einer Beschäftigung nachgehen kann (SGB II § 8). Für die ARGE Essen bedeutet dies, Kranke unter Sanktionsandrohung in Ein-Euro-Jobs zu zwingen. Die „Erwerbsfähigkeit“ wird begutachtet vom Medizinischen Dienst der Agentur für Arbeit. Die Ärzte und Ärztinnen tun ihr Bestes in einem engen vorgeschriebenen Rahmen ohne ausreichende Differenzierungsmöglichkeiten. Da kann es schon mal vorkommen, dass einem Hartz IV Berechtigten, der sich in einer Chemotherapie befindet, 3 Stunden tägliche Erwerbsfähigkeit zugedacht werden, ohne die Therapie in der Stellungnahme zu erwähnen. Immer mehr Ärzte weigern sich übrigens, Hartz IV Berechtigte „Krank zu schreiben“. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass wir so vielen behinderten und chronisch kranken Menschen in den JobCentern und in den „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“, also bei den Bildungs- und Beschäftigungsträgern und ihren Einsatzorten, begegnen. In weiser Voraussicht ist unter der Rot/Grünen Regierung verhindert worden, dass ab 2005 Hartz IV Berechtigte in Rente gehen, was möglicherweise in 2004 über die Erwerbsunfähigkeit alter Definition noch möglich war. Über Heraufsetzung des Renteneinstiegsalters und durch die Rentenkürzungen sind auf die Kommunen die Kosten abgewälzt worden.

Behinderte haben Rechte. Das Recht zur Teilhabe am Arbeitsleben, damit sind allerdings sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten gemeint, das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, das Recht auf Eingliederungshilfen, auf eine Schwerbehindertenvertretung, Zusatzurlaub, berufliche Weiterbildung, Schutz vor Benachteiligung und Diskriminierung (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), und noch viel mehr, geregelt in den Büchern SGB III, SGB IX, SGB XII, für die ARGE Essen weitgehend „Böhmische Dörfer“. Unter ständiger Verletzung der Beratungs-, Aufklärungs- und Informationspflicht nach SGB I §§ 14+15 werden „erwerbsfähigen“ Behinderten weder Fragen beantwortet, noch auf ihre Rechte hingewiesen. Bei wirklich relevanten Fragen bitte direkt an die Krankenkasse wenden, die Rentenversicherung, das Versorgungsamt, den Hausarzt, die Behindertenberatung der Stadt Essen, die Beratungsstelle des Gesundheitsamtes der Stadt Essen. Und auch an dieser Stelle, bitte, nirgendwo allein hingehen, immer in Begleitung, für den Gang zum JobCenter ist der Zeuge unerlässlich.

Einem schwer behinderten Mensch mit dem Behinderungsgrad „50“ und einem bewilligten „G“ steht ein erhöhter Wohnraumbedarf zu, um 15m² mehr, bis 60m², mit einer Miete bis € 360 kalt ohne Nebenkosten. Ein Antrag auf Kostenübernahme des Umzuges in eine barrierefreie, behindertengerechte Wohnung, die als „Betreutes Wohnen“ vom LVR anerkannt ist, und Kostenübernahme der Miete wird in Essen, wenn überhaupt bearbeitet, abgelehnt. Soeben geschehen, die Miete in diesem Fall hätte € 250 betragen, was nicht als angemessen gesehen wurde. Der Fall wird gesondert veröffentlicht. Es hätte eine Einzelfallprüfung stattfinden müssen.

Zur Erinnerung, Menschenrechtskonvention:
Artikel 9
1) Zugänglichkeit
[…] zu gewährleisten. Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung
von Zugangshindernissen und –Barrieren einschließen, gelten unter anderem für
a) Gebäude, Straßen, Transportmittel sowie andere Einrichtungen in Gebäuden
und im Freien, einschließlich Schulen, Wohnhäusern, medizinischer Einrichtungen und Arbeitsstätten, […]

(und)

[…]
d) um in Gebäuden und anderen Einrichtungen, die der Öffentlichkeit offen stehen
Beschilderungen in Brailleschrift und in leicht lesbarer und verständlicher
Form anzubringen; […]

Im Kommunalprogramm der Partei DIE LINKE. ist als Ziel formuliert, eine barrierefreie Stadt zu verwirklichen. Gut, Papier ist geduldig, „die Linken“ auch?

Ein Tipp noch für Interessierte in anderen Städten, die ihre JobCenter in Augenschein nehmen möchten: Bitte nehmt einen Zollstock mit.

SprecherInnen
AG „Runder Tisch – Hartz IV Muß Weg“ in und bei der Partei DIE LINKE.

to be continued

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