Die Zuhörerinnen und Zuhörer verfolgten teils gebannt, teils fassungslos den Erfahrungen von Frau Hannemann
Die Veranstaltung Die Sanktionspraxis des Hartz IV Systems – Kritik nicht erwünscht? war trotz des schwülen Wetters am Freitag gut besucht. Laut Angaben der LINKEN, die zu der Veranstaltung eingeladen hatte, wohnten dieser ca. 70 Besucher bei.
Begrüßt wurden die Anwesenden durch Waltraut Steuer, Mitglied im Kreisvorstand DIE LINKE. Sie stellte kurz Frau Hannemann und Rechtsanwalt Jan Häußler vor, Fachanwalt für Sozialrecht und beratend tätig für den BG45.
Danach begann Frau Hannemann mit ihrem Vortrag. Sie schilderte zunächst den ersten Anhörungstag vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Um sich gegen die am 22. April 2013 ausgesprochene Suspendierung von ihrer Tätigkeit als Arbeitsvermittlerin zu wehren und ihrem Begehren nach weitere Beschäftigung Gehör zu verschaffen, hatte Frau Hannemann ein Eilverfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg erwirkt. Die erste Anhörung wurde jedoch vertagt. Die vorsitzende Richterin war offensichtlich fachlich nicht gut vorbereitet. So wusste sie z.B. nichts mit dem Begriff Sanktionsmoratorium anzufangen. Am 30. Juli, findet der zweite Anhörungstag statt. Neben der Presse wird auch Katja Kipping, Mitglied des Bundestages und Vorsitzende der Partei DIE LINKE, für den Tag erwartet. Frau Kipping zeigt sich solidarisch mit Frau Hannemann und will sie, mit ihrer Anwesenheit am Anhörungstag, unterstützen. Ausgehend von der aktuellen Entwicklung und der Reaktion der Bundesagentur für Arbeit, geht Frau Hannemann davon aus, das es bei der Anhörung zu einer Schlammschlacht kommen wird. In Hamburg selbst wird es für sie bereist gefährlich öffentlich aufzutreten. Sie sieht sich zunehmend Angriffen auf ihre Person ausgesetzt. Trotz allem ist Frau Hannemann physisch und psychisch gut dabei. Ihre Kraft schöpft sie aus der großen Solidarität und der Unterstützung, die sie von Außen aber vor allem von ihrer Familie erfährt. Unerschrocken setzt sie ihren Weg fort und tourt noch bis Ende September durch Deutschland. Dabei bereist sie jedes Bundesland, auch Bayern. Dort ist sie und ihre Arbeit noch größtenteils unbekannt. Es gibt also noch viel zu tun.
Der hauptsächliche Grund der Tour liegt darin begründet, das die Menschen Frau Hannemann live erleben wollen. Es reicht nicht, im Internet auf den verschiedenen Plattformen vertreten zu sein und dort die Menschen mit Informationen zu versorgen. Die Leute wollen eine Frau Hannemann zum Anfassen. Persönliche Begegnungen wirken eben weit tiefer nach, als es ein Text oder ein Video je könnte. So wichtig die beiden Punkte auch sind. Und somit berichtet Frau Hannemann persönlich vor Ort, was sie als Insiderin in dem Hamburger JobCenter erlebt und erfahren hat. Zum Beispiel das Maßnahmen für Erwerbslose von den JobCentern ausgeschrieben werden, wie Bauaufträge von der Stadt. Und auch hier bekommt dann der den Zuschlag, der am billigsten ist. Das billig nicht gleich gut ist, dürfte niemanden überraschen. Von der Sinnhaftigkeit vieler Maßnahmen ganz zu schweigen. Wohlgemerkt der Sinnhaftigkeit für die Erwerbslosen. Für die JobCenter und der BA macht jede noch so abstruse Maßnahme einen Sinn. Schließlich tauchen die dort teilnehmenden Erwerbslosen nicht mehr in selbiger Statistik auf. Friede, Freude, Eierkuchen.
Neben diesen Themen berichtet Frau Hannemann über ihre geschichtliche Entwicklung, bzgl. ihrer Arbeit als Sachbearbeiterin im JobCenter ab dem Jahr 2005 bis zu ihrer Freistellung 2013. Das für sie immer der Mensch im Zentrum ihrer Tätigkeit stand und steht. Das die Belange, Sorgen und Nöte der Menschen für sie wichtig sind und keine Zahlenkolonnen oder Zielvorgaben. Sie berichtet aber auch von den Reaktionen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Diese stehen ihrer Arbeitsweise meist ablehnend gegenüber und nicht selten musste Frau Hannemann mit Mobbing Erfahrung machen. Aber sie hat auch Zuspruch von einzelnen Kolleginnen und Kollegen erfahren. Natürlich nur mit vorgehaltener Hand. Denn auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JobCenter sind diese ein Hort der Angst und Unterdrückung. Nicht von ungefähr gibt es so wenig Widerstand gegen das, was von diesen Menschen von ihrem Arbeitgeber gefordert wird. Zudem sind sie meist schlecht ausgebildet. Viele haben nur befristete Arbeitsverträge. Sie erhalten eine kurze Schulung und werden dann ins kalte Wasser geschmissen. Es sind dann auch fast ausnahmslos die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit befristeten Verträgen, die zwischen Weihnachten und Neujahr ihre Zeit im JobCenter verbringen, anstatt bei ihrer Familie, wie die übrigen Kolleginnen und Kollegen. Der Grund dafür ist, das innerhalb dieser Zeitspanne die Entscheidung über die jeweilige Entfristung bekanntgemacht wird. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JobCenter erfahren eine systemkonforme Prägung, die ihr Denken und Handeln bestimmt.
Es ist also kein Wunder, das die Zahl der verhängten Sanktionen zunimmt. Sanktionen lehnt Frau Hannemann konsequent ab. Sie sieht in ihnen einzig ein Druckinstrument zur Ausübung von Macht. Die Macht der Sacharbeiterin, des Sacharbeiters über die ihnen anvertrauten erwerbslosen Menschen. Frau Hannemann spricht den Sanktionen jedwede erzieherische Wirkung ab. Jugendliche und junge Erwachsene reagieren bei Sanktionen meist mit Rückzug. Sie verweigern sich häufig total und geraten so in einen Teufelskreislauf. Erwachsene hingegen nehmen im Sanktionsfall den Kampf auf. Soweit sie noch den Willen und die Kraft dazu haben. Viele lassen sich brechen. Das ist es was man mit Sanktionen erreicht: Gebrochene Menschen!
Frau Hannemann ist überzeugt davon, das durch den Wegfall der Sanktionen Leih- und Zeitarbeit massiv abnehmen und sich ein Mindestlohn durchsetzen würde. Zur Zeit vermitteln die JobCenter zu 70% in Zeit- und Leiharbeit. Dies ist nur durch den Druck der Sanktionen möglich. Dazu kommt, das Zeitarbeitsfirmen direkten Zugriff, am JobCenter vorbei, auf die Bewerbungsdaten der Erwerbslosen haben. Um dem Ganzen noch eins drauf zu setzen geben sie Stellenangebote an, die es gar nicht gibt. Genauer, eine Stelle wird doppelt und dreifach angeboten. Dadurch werden künstlich mehr freie Stellen geschaffen, als tatsächlich vorhanden sind. (Das erinnert mich ein wenig an die Geldschöpfung aus dem Nichts; aber das ist ein komplett anderes Thema ;-)). Komischer Weise fällt dies den Arbeitsplatzsuchenden bei ihren Recherchen immer wieder auf. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der JobCentern hingegen meist nicht.
Um die Erwerbslosen schnell wieder in Arbeit zu bekommen, nutzen die JobCenter ein sogenanntes Matchingsystem. Das bedeutet konkret, das jedwede Tätigkeit, die ein aktuell Erwerbsloser während seiner Erwerbstätigkeit nachgekommen ist, für die Jobvermittlung berücksichtigt wird. Sie haben als Student im Supermarkt an der Kasse gestanden? Ich freue mich Ihnen mitteilen zu dürfen, dass ich eine passende … Noch Fragen?
Zuzüglich werden die Erwerbslosen in Topkunden und den ganzen Rest eingeteilt. Einen Topkunden kennzeichnet:
- er ist unter 50
- hat Berufserfahrung
- ist Akademiker
- hat einen Führerschein
- hat ein eigenes Auto
Diese werden bevorzugt behandelt. Fehlt das eine oder andere Kriterium, steht man weiter unten auf der Warteliste.
Frau Hannemann fordert eine externe und unabhängige Kontrolleinrichtung für die BA. Diese versorgt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwar gerne mit neuen Dienstanweisungen und Zielvorgaben, Bundessozialgerichtsurteile werden jedoch nicht kommuniziert. Zumindest die nicht, die zu Gunsten der Erwerbslosen gefällt wurden (was nicht selten der Fall ist). So kommt es nicht selten vor, das die Hilfesuchenden besser informierten sind als das helfende Fachpersonal. Grundsätzlich setzt sich Frau Hannemann für die Abschaffung von Hartz IV ein. Sie ist für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Dabei ist sie sich sehr wohl der Finanzierungsproblematik bewusst und hält eine Expertenrunde für notwendig, die sich entsprechend mit diesem Thema befasst. Ob mit oder ohne Grundeinkommen, es müssen sinnvolle Maßnahmen angeboten werden, die die Menschen auch wirklich in Arbeit bringen und nicht nur die Taschen der Bildungsträger füllen. Zum Schluss wies sie noch ausdrücklich darauf hin, immer nur in Begleitung zu einem Termin im JobCenter zu erscheinen. Außerdem besteht keine Pflicht seine Telefonnummer bei der Datenerfassung mit anzugeben. Neben dem Namen ist die Anschrift vollkommen ausreichend, wenn es um die Erreichbarkeit geht.
Nach gut einer Stunde beendete Frau Hannemann ihre Ausführungen. Sie und Rechtsanwalt Jan Häußler stellten sich dann noch einer Diskussions- und Fragestunde zur Verfügung, die von Frau Steuer moderiert wurde. Es war ein sehr guter und sehr denkwürdiger Abend, der bei allen Beteiligten noch lange nachwirken dürfte. Am Ende der zweistündigen Veranstaltung stand fest: Nur gemeinsam sind wir stark – vernetzt euch.