Aufrechenbarkeit von Sanktionen wegen Meldeversäumnis
Das Bundessozialgericht hat mittels Terminbericht ein wegweisendes Urteil zu der Aufrechnung von Sanktionen wegen Meldeversäumnissen bekannt gegeben.
Nach diesem Urteil ist es unzulässig, dass JobCenter innerhalb kurzer Zeit serienweise gleichlautende Meldeaufforderungen erlassen, um dann bei Nichtwahrnehmung fortlaufend aufrechnend wegen Meldeversäumnis zu sanktionieren. Das BSG deckelt die Sanktionsfähigkeit auf drei hintereinander gleichlautende Meldeaufforderungen, die seitens der/des Leistungsberechtigten nicht wahrgenommen wurden.
Nach Ansicht der 14ten Kammer des BSG verfehlen mehr als drei gleichlautende aufeinanderfolgende Meldeaufforderung das Prinzip des Förderns. Einen kleinen Wermutstropfen beinhaltet das BSG-Urteil aber dennoch. Dazu mehr weiter unten.
Meldeversäumnis – Das Urteil im Detail
Hierzu der Auszug aus dem Terminbericht des BSG:
6. B 14 AS19/14 R
SG Augsburg – S 11 AS 1294/11
LSG München – L 16 AS 167/12Umstritten ist die Rechtmäßigkeit von mehreren Bescheiden über Meldeversäumnisse und Minderungen des Alg II in sich überschneidenden Zeiträumen. Die Klägerin, die mit ihrem Ehemann, dem Kläger des Verfahrens unter Nr. 7, eine Bedarfsgemeinschaft bildet, bezog vom beklagten Jobcenter seit 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, zuletzt bewilligt vom 01.09.2011 bis zum 29.02.2012. U.a. zum 24.10.2011 lud der Beklagte die Klägerin zu einer Besprechung ihres Bewerberangebots bzw ihrer beruflichen Situation in seine Dienststelle. Nachdem die Klägerin dem nicht nachgekommen war, hörte der Beklagte sie an und stellte ein Meldeversäumnis sowie eine Minderung ihres Alg II um 10% ihres Regelbedarfs vom 01.12.2011 bis zum 29.02.2012 fest (Bescheid vom 17.11.2011, Widerspruchsbescheid vom 07.12.2011). Weitere solche Einladungen ergingen zum 04., 11., 21., 25.11. und 07. sowie 12.12.2011. Anschließend erfolgte jeweils eine Anhörung sowie ein Bescheid und ein Widerspruchsbescheid über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und eine Minderung des Alg II für Zeiträume vom 01.12.2011 bis zum 30.04.2012.
Gegen alle Bescheide wurden Klagen erhoben, die vor dem Sozialgericht zum Teil erfolgreich waren, vor dem Landessozialgericht jedoch alle nicht (Urteile vom 24.10.2012). Die Klägerin sei zu allen Terminen, zu denen sie ordnungsgemäß eingeladen worden sei, ohne wichtigen Grund nicht erschienen. Die Meldetermine hätten einem zulässigen Zweck gedient, und die „Einladungsdichte“ sei nicht unverhältnismäßig gewesen. Die Addition von Minderungen aufgrund von Meldeversäumnissen sehe § 32 SGB II ausdrücklich vor. Nach der ab 01.04.2011 geltenden Rechtslage müsste vor Eintritt eines zweiten Meldeversäumnisses kein erstes Meldeversäumnis durch Bescheid festgestellt worden sein. Wegen der Höhe der Minderungen habe der Beklagte die Klägerin auf die Möglichkeit hingewiesen, ergänzende Sach- oder geldwerte Leistungen zu beantragen.
In ihren vom BSG zugelassenen und zu einem Verfahren verbundenen Revisionen rügt die Klägerin eine Verletzung von §§ 31b, 32 SGB II. Auch nach der neuen Rechtslage erfordere die Feststellung einer weiteren Minderung für denselben Zeitraum die vorherige Feststellung der ersten Minderung („Warnfunktion“), weil es andernfalls – wie vorliegend – bei knapper Terminsetzung zur Verhängung einer Vielzahl von Minderungen für denselben Zeitraum kommen könne.
Die Revision der Klägerin ist vor dem BSG zum Teil erfolgreich gewesen, so dass die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgericht zu ändern und ein Teil der Bescheide des Beklagten aufgehoben worden sind. Im Übrigen ist die Revision zurückgewiesen worden.
Die Klägerin konnte zu Recht gegen die einzelnen Bescheide über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und den Eintritt einer Minderung ihres Alg II um jeweils 10% des maßgebenden Regelbedarfs für drei Monate (sog. „Sanktionsbescheid“) eine isolierte Anfechtungsklage erheben. Dies folgt aus dem Wortlaut von § 31b Abs. 1 Satz 1, § 39 Nr. 1 SGB II in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung, die von einem solchen eigenständigen Verwaltungsakt ausgehen und ihn entgegen der früheren Rechtsprechung nicht als Einheit mit dem Verwaltungsakt ansehen, durch den diese Minderung im Rahmen der Aufhebung eines erfolgten Bewilligungsbescheides (sog. „Absenkungsbescheid“) oder eines neuen Bewilligungsbescheides umgesetzt wird. Einzeln betrachtet ist keiner der sieben Bescheide über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und den Eintritt einer Minderung rechtlich zu beanstanden, weil die Klägerin vom Beklagten jeweils ordnungsgemäß zu einem Zweck gemäß § 59 SGB II, § 309 SGB III geladen worden war und dieser Meldeaufforderung ohne wichtigen Grund nicht nachgekommen war. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht umstritten. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist auch ein Teil der Bescheide nicht deswegen rechtswidrig, weil die Klägerin nicht zuvor einen ersten Bescheid über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung als Warnung erhalten hatte. Die dahingehende Rechtsprechung ist durch die Neufassung der §§ 31 ff. SGB II, wie das Landessozialgericht zu Recht ausgeführt hat, überholt.
Dem Landessozialgericht kann jedoch nicht gefolgt werden, soweit es die sieben Meldeaufforderungen innerhalb von acht Wochen in ihrer Gesamtheit als rechtmäßig angesehen hat. Wenn eine solche „Einladungsdichte“ zwar nicht grundsätzlich rechtswidrig ist, so ist jedoch zu beachten, dass eine Meldeaufforderung und ihre Ausgestaltung im Ermessen des Beklagten steht. Den sich daraus ergebenden Anforderungen (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) hinsichtlich der Grenzen und des Zwecks des Ermessens, vorliegend also insbesondere die Unterstützung einer Eingliederung der betreffenden Person in das Erwerbsleben nach § 1 Abs. 2 SGB II, werden sieben gleichlautende Meldeaufforderungen nicht gerecht. Zumindest nach der dritten gleichlautenden Meldeaufforderung mit demselben Ergebnis der Nichtwahrnehmung des Termins hätte der Beklagte nicht in der bisherigen Weise fortfahren dürfen. Die auf diesen weiteren Meldeaufforderungen beruhenden Bescheide über die Feststellung eines Meldeversäumnisses und einer Minderung sind rechtswidrig.
Soweit in den verbliebenen Bescheiden Minderungen festgestellt werden, die sich in einzelnen Monaten auf 30% des maßgebenden Regelbedarfs aufsummieren können, werden die damit einhergehenden Auswirkungen nicht verkannt. Trotzdem konnte das BSG sich die notwendige Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Regelungen nicht bilden, weil das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zwar dem Grunde nach unverfügbar ist, aber der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf und die vorliegend einschlägigen Regelungen noch von seiner Gestaltungsfreiheit umfasst sind.
Meldeversäumnis – Der Wermutstropfen
Der Wermutstropfen an diesem Urteil ist der erneute Verweis des BSG, dass seiner Rechtsansicht nach eine 30% Minderung des Regelsatzes durch Sanktionen verfassungskonform ist. Und noch innerhalb des sog. Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers liegt. Begründet ist das wohl darin, dass in allen einschlägigen Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage immer von soziokulturellen Existenzminimum ausgegangen wird und nicht von dem rein physischen Existenzminimum.
Nur die Lüge braucht die Stütze der Staatsgewalt. Die Wahrheit steht von alleine aufrecht.
Thomas Jefferson
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Ein Klient von uns wurde in einem Quartal ganze sieben Mal jeweils wegen einer Folgeeinladung durch das berüchtigte Jobcenter Marzahn-Hellersdorf mit jeweils einer vorgeschobenen Einladebegründung sanktioniert! Das SG Berlin und das LSG Brandenburg lehnten eine Einstweilige Anordnung ab, eine Klage ist anhängig!