RTL „Secret Millionaire“ – Was ist hier Realtität?

RTLRTL und die Volksverdummung

Normalerweise halten wir uns ja bei der Kommentierung von Fernsehsendungen bewusst zurück, weil es ansich zwecklos ist, gegen die in vielen „Reportagen“ enthaltene unterschwellige Diskriminierung und manipulierende Darstellung von SGB II-Leistungsberechtigten (Hartz IV-Bezieher) anzuschreiben. Nur diesmal wollen wir uns doch mit der RTL-Sendung „Secret Millionaire“ aus Essen auseinandersetzen.

Denn was RTL hier mal wieder veranstaltet hat, schlägt dem Fass den Boden aus. Es wird durch dieses RTL-Sendeformat ein Bild von Leistungsberechtigten gezeichnet, was kaum etwas mit der Realität zu tun hat.

RTL – Und die Tatsachen

Der Grundgedanke, dass Reiche mal inkognito in die Rolle eines SGB II-Leistungsberechtigten „schlüpfen“ ist sicherlich nicht verkehrt. Denn nur so kann tatsächlich ein Verständnis für die wirkliche Lebenssituation vieler Leistungsberechtigter und sozial Ausgegrenzter bei Bessergestellten erreicht werden. Die meisten Gutbetuchten leben in einer vollkommen anderen Welt, die im Gegensatz zu SGB II-Leistungsberechtigten nicht von Existenz- und Zukunftsängsten getragen ist.

Wer kennt aber nicht die Volksweisheit „Selbst der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert!„?

Genau dieser Spruch charakterisiert das Verhalten und Vorgehen von RTL.

Dem Zuschauer wird nämlich durch den „Sender“ RTL der Eindruck vermittelt, dass der wöchentliche Regelsatz von 97 und ein paar zerquetschten Euro zwar knapp bemessen ist, jedoch das „Überleben“ zulässt. Hier wird mit einer falschen Vorbildfunktion gespielt. Der „Kandidat“ der Sendung hat es geschafft, mit diesem Betrag die Woche zu überstehen. Es wird dabei betont, dass es schwierig für ihn war, sich aber dennoch als machbar erwiesen hat. Die unterschwellig damit transportierte Kernaussage ist, dass wenn ein Reicher es schafft, damit auszukommen, dann sollten es alle anderen, ständig lamentierenden und aufbegehrenden „regulären“ Leistungsberechtigten gefälligst auch tun. Wieder einmal mehr ein Beweis dafür, wie sehr sozial Ausgegrenzte und Einkommensschwache durch RTL der Öffentlichkeit in Form der Zuschauer dieser Sendung gegenüber stigmatisiert werden.

Und genau hierin ist die manipulierende und vorsätzliche Volksverdummung durch den Sender RTL zu sehen. Denn die erwähnten rund 97 € stellen den „Bruttoregelsatz“ für eine Woche dar. In der Realität hat so gut wie kein Leistungsberechtigter diesen zur Verfügung. Er muss daraus seinen Haushaltsstrom, seine Versicherungen, seine Mobilitätskosten, seine Kontoführungsgebühren, seine Kosten für Kommunikation, usw. bestreiten. Selbst wenn man unterstellt, dass ein Leistungsberechtigter keine Versicherungen mehr hat, weil gekündigt, reduziert sich der von RTL propagierte Regelsatz deutlich.

Gehen wir mal von einem Single hier in Essen im Jahr 2014 aus. Durchschnittlich fielen rund 50,– € monatlich für Strom an, ein Sozialticket kostete 29,90 € , Kontoführungsgebühren mit rund 6,– € monatlich waren realistisch und unter 25,– € monatlich bekam man selbst mit Flatrate keinen Mobilfunk- und Internetanschluss. Das ergab Mindestkosten von 110,90 € monatlich. Teilt man das durch 4, ergab das einen „wöchentlichen Satz“ von gerundet 27,73 €. In Wahrheit standen einem alleinstehenden Leistungsberechtigten wöchentlich allerhöchstens also nur 70,07 €, mithin rund 70,– € zur Verfügung.

Das ist schon eine ganz andere Hausnummer als der von RTL indoktrinierte Satz.

Hinzu kommt, dass der „Kandidat“ eine, wenn auch spärlich, eingerichtete Wohnung vorgefunden hat. Das hat nichts mit der Lebensrealität eines Leistungsberechtigten zu tun. Nahezu jeder kann ganz bestimmt ein Lied davon singen, was passiert, wenn sich im Haushalt ein Gegenstand der „weißen Ware“ verabschiedet. Auf so etwas wird in diesem RTL-Format selbstredend nicht hingewiesen. Außerdem ist uns nicht aufgefallen, dass der „Vorzeige-Hartz-IV-Bezieher“ während des einwöchigen „Experimentes“ Kleidung oder Schuhe käuflich erworben hat.

RTL und die WAZ

Was die WAZ dann mal wieder daraus macht, ist an Pathos kaum zu überbieten:

Essen.  Für die RTL-Sendung „Secret Millionaire“ gab sich der Kölner Unternehmer Frank Böhme in Essen als Hartz-IV-Empfänger aus. Und half Obdachlosen.

Stell Dir vor, du bist steinreich und stürzt plötzlich brutal ab. Vom strahlenden Millionär zum zerknirschten Hartz-IV-Empfänger – diesen jähen Abstieg hat der Kölner Frank Böhme (54) erlebt. Allerdings nur für eine Woche und das auch nur im Fernsehen. Für das RTL-Format „Secret Millionaire“ ist er im Januar eine Woche durch Essen gezogen – und zu denen, die am Rande der Gesellschaft leben. Ausgestrahlt wird die Sendung diesen Sonntag um 19.05 Uhr.

Als Millionär in die Rolle eines Erwerbslosen zu schlüpfen, ist gar nicht so einfach. Erst recht nicht, wenn sich ständig ein Kamerateam an die Fersen heftet. „Ich habe so getan, als sei ich ein gescheiterter Unternehmer, der über ehrenamtliche Arbeit ins Arbeitsleben zurückzukehren hofft“, erzählt Böhme.
„Essen von unten“-Einsatz mit mickrigen 96 Euro

Derselbe, der normalerweise im rasanten McLaren-Sportwagen durch Köln zu rauschen pflegt, war bei seinem „Essen von unten“-Einsatz auf mickrige 96 Euro angewiesen. Geld, das nicht einmal für eine Tankfüllung reicht. Derselbe, der sonst im dunkelblauen Designer-Anzug über das Sport-Studio-Imperium „Just Fit“ (21 Filialen, 700 Mitarbeiter) gebietet, wirkt im Hartz-IV-Outfit auf einmal ziemlich ranzig. „Zum ersten Mal im Leben habe ich mir einen Bart wachsen lassen, und der war fast weiß.“

Böhmes Mission: In Essen ehrenamtlich helfen. Aber wo? Weil RTL keinerlei Vorgaben macht, recherchiert der „geheime Millionär“ auf eigene Faust. Hört sich um, fragt sich durch – und entdeckt die Jugendhilfeeinrichtung „Freie Schule“ und den Verein „Filiz Rollidogs“, der Behindertenbegleithunde ausbildet. Und mitten auf der Kettwiger laufen ihm die Freiwilligen von „Warm durch die Nacht“ über den Weg. Sie sind Teil der Initiative „Essen packt an!“ und verteilen heiße Suppen, warme Kleidung und dicke Schlafsäcke an Obdachlose. „Es ist sensationell, was diese Leute leisten, da muss man durchatmen“, staunt Böhme.

„Secret Millionaire“ spendete ein Suppenfahrrad

Menschen ohne festen Wohnsitz – das waren für ihn bis dahin bemitleidenswerte Kreaturen, „die selbst schuld an ihrer Misere sind“. Dass Obdachlose – so wie am Essener Hauptbahnhof – selbst bei Temperaturen um den Gefrierpunkt nachts über Lüftungsschächten schlafen, war ihm bis dahin schier unverständlich. „Für mich galt immer: In unserem Land muss keiner auf der Straße schlafen.“ Doch in Essen – ganz im Sinne der RTL-Real-Life-Doku – lernt Frank Böhme, diese ergreifenden menschlichen Schicksale unter einem ganz neuem Blickwinkel zu betrachten. „Ich habe Demut gelernt“, sagt Böhme. Erst recht, als die, die so gut wie gar nichts besitzen, das wenige auch noch zu teilen begannen.

Die Ehrenamtlichen, die der „Secret Millionaire“ in Essen begleitete, gingen übrigens nicht leer aus. Als Frank Böhme am Ende dieser denkwürdigen Woche sein Geheimnis lüftete, bedachte er sie mit Spenden. Den „Warm durch die Nacht“-Aktivisten schenkte er übrigens ein Suppenfahrrad.

Gerd Niewerth

Hierzu fällt uns nur die Frage ein: Wer glaubt noch an den Weihnachtsmann?

RTL – Ganz andere Feststellungen und Fragen

Sicherlich wurde es dem „Promi“ seitens RTL in dieser Sendung bewusst nicht zugemutet, sich tatsächlich mit dem JobCenter auseinanderzusetzen. Solche entwürdigende und demütigenden realen „Szenen“ wollte man ihm wohl ersparen. Zudem würden sie ja einer breiten Öffentlichkeit die tatsächlichen Zustände in den Essener JobCentern offenbaren.

Wir stellen uns die Frage, wie der Kandidat das Prozedere im JobCenter Berliner Platz bei der Abgabe seines für den Leistungsbezug eigentlich notwendigen Erstantrages empfunden hätte? Vermutlich wäre er sich wie so viele „reale“ Leistungsberechtigte vor ihm als Bettler oder Bittsteller vorgekommen. Leider war ihm diese Erfahrung aber nicht vergönnt.

Abschließend darf gefragt werden: Warum braucht jemand mit viel Geld ausgerechnet einen Fernsehsender wie RTL, um Menschen, die Hilfe brauchen, zu unterstützen? Seit wann ist ehrenamtliches Engagement an TV-Präsenz ausgerechnet durch RTL gebunden?

Die Welt ist voll Torheit, Dumpfheit, Inkonsequenz und Ungerechtigkeit; es gehört viel Mut dazu, diesen nicht das Feld zu räumen und sich beiseite zu begeben.

Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

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Eine Antwort zu RTL „Secret Millionaire“ – Was ist hier Realtität?

  1. Von dem Millionär haben wir schon Unterstützung bekommen. Aktiv….von euch? Ok, wenn wir euch wie Bittsteller bitten würden und es als „Holschuld“ ansehen würden, dann würde sicherlich Top Unterstützung kommen…denkt einfach mal drüber nach was ihr mit so einer Sache an Ehrenamt, Freiwilligkeit und vielleicht sogar wie es in den Medien steht (nicht alleine von der WAZ) an sozialromantischen Ideen KAPUTT macht. Ist vielleicht auch eure Intention. Schade.