LSG NRW und seine Selbstsicht über seine Arbeit

LSGLSG NRW nutzt 10 Jahre SGB II zur Selbstdarstellung

Anläßlich des zehnjährigen „Jubiläums“ der Einführung des SGB II kann das LSG NRW wohl der Versuchung nicht widerstehen; humorvoll mit mildtätiger Nachsicht betrachtet; Selbstbeweihräucherung zu betreiben.

Es sah sich genötigt, hierzu eine Presseerklärung herauszugeben, die eine Selbstdarstellung bietet, die absolut nichts mit der tatsächlich geübten prozessualen Realität zu tun.

Keinesfalls soll in Abrede gestellt werden, dass die einzelnen SozialrichterInnen in NRW eine abnorme Arbeitsbelastung haben und oftmals doch zu Gunsten von Leistungsberechtigten entscheiden. Weiterführend geht es ausschließlich um eine Stellungnahme zu den Aussagen des LSG in seiner Pressemitteilung.

Wer als Leistungsberechtigter nach dem SGB II über eine gesunde Portion Humor verfügt, bzw. meint, leidensfähig genug zu sein, kann dem Weiteren gerne folgen.

Das LSG NRW in seiner Selbstdarstellung

Damit der geneigte Leser sich einen ersten Eindruck verschaffen kann, folgt hier nun die Presseerklärung des LSG NRW in Gänze:

Zehn Jahre „Hartz IV“. Verfahrensflut ungebrochen

Präsident des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen: Zehn Jahre Hartz IV“. Verfahrensflut ungebrochen. Auch der Gesetzgeber trägt Mitverantwortung. Viele Rechtsfragen durch die Sozialgerichtsbarkeit geklärt.

Essen. Anlässlich der Vorstellung des Geschäftsberichts für 2014 hat der Präsident des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen Joachim Nieding eine Bilanz zum 10-jährigen Bestehen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auch als „Hartz IV“ bezeichnet, aus Sicht der Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen gezogen.

„Mit Inkrafttreten des Gesetzes am 01.01.2005 ist eine vorher kaum zu erwartende Verfahrensflut auf die Gerichtsbarkeit zugekommen. Bis zum 31.12.2014 haben die Richterinnen und Richter der Sozialgerichte insgesamt 217.222 „Hartz IV“- Verfahren erledigt. Bei dem Landessozialgericht – der Berufungsinstanz – sind in dieser Zeit insgesamt 10.649 Verfahren aus diesem Bereich erledigt worden. Diese enorme Anzahl von Verfahren – ich scheue mich nicht von einer justizhistorisch einmaligen Herausforderung zu sprechen – konnte nur durch den herausragenden Einsatz aller Richterinnen und Richter sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sozialgerichtsbarkeit erledigt werden. Hartz IV wurde bewältigt, ohne dass in den anderen Rechtsgebieten, beispielsweise der Rentenversicherung, der Krankenversicherung oder dem Schwerbehindertenrecht, Einbußen im Rechtsschutz auftraten. Eine deutliche Personalverstärkung war hilfreich, konnte die Zusatzbelastung aber nicht vollständig ausgleichen. Im vergangenen Jahr konnten Bestände abgebaut werden. Viele Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind unter Beteiligung der Sozialgerichtsbarkeit Nordrhein-Westfalens geklärt worden. Dies alles zeigt die große Leistungsfähigkeit der Sozialgerichtsbarkeit unseres Bundeslandes, so Joachim Nieding.

Kritik übte der Gerichtspräsident am Gesetzgeber: „Seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist dieses zahlreichen Änderungen unterzogen worden, was die Arbeit mit diesem Gesetz erheblich erschwert. Die schwierige Handhabung des SGB II zeigt sich in der Erfolgsquote der Klägerinnen und Kläger. Diese liegt seit Jahren konstant bei über 40%. Die Rechtssicherheit und – klarheit bleiben auf der Strecke. Der Gesetzgeber ist ersichtlich bemüht, Einzelfallgerechtigkeit durch kleinteilige Detailregelungen zu erreichen. Diese erzeugen zusätzlichen Klärungsbedarf. Ich begrüße deshalb die Bemühungen um Rechtsvereinfachungen im SGB II“.

Das LSG NRW und die nackte Wahrheit

Man muss bedenken, dass es sich bei dem LSG NRW um ein zweitinstanzliches Sozialgericht handelt. Verfahren landen i.d.R. nur dort, wenn die Berufung durch Überschreitung der geldwerten Berufungsgrenze erreicht wurde oder ein Sozialgericht die Berufung wegen grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung zugelassen hat. Vor diesem Hintergrund dann auch noch unumwunden zuzugeben, dass nur rund 40% der beim LSG anhängigen Verfahren zu Gunsten der Kläger ausgehen, ist sehr vorsichtig formuliert eine Verdummung des Rechtsstaates. Und zeigt die tatsächliche innere Haltung dieses Gerichtes gegenüber Leistungsberechtigten auf.

Mit anderen Worten, rund 60% aller Klagen werden als unbegründet abgeschmettert oder es wird seitens der zuständigen Kammern des LSG auf einen Vergleich gedrängt, damit ja bloß kein Urteil zu Gunsten des Klägers gefällt werden muss. In diesen 60% enthalten sind auch die Verfahren, in denen Kläger unter Androhung von Mißbrauchgebühren dazu genötigt werden, die Klage zurückzunehmen. Wovon übrigens insbesondere beim LSG NRW gerne als erzieherische Maßnahme und Abstrafung vermeintlich klagewütiger Leistungsberechtigter hinlänglich Gebrauch gemacht wird.

Vorallendingen verdeutlicht die durch das LSG NRW gewählte Form der angeblichen Tatsachendarstellung, dass es versucht, die Öffentlichkeit zu manipulieren. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, dass es verschweigt, wie sich die 60% abgewiesener Klagen aufschlüsseln. Würde es das tun, würde jedem Leser sofort klar werden, was für eine demokratiefeindliche Handhabung der Rechtsprechung es betreibt. Zugleich wird damit signalisiert, dass rund 60% aller Klagen angeblich zu Unrecht erhoben wurden.

Das LSG NRW und seine Ergebenheit

Dass das LSG NRW, bzw. dessen Präsident selbstredend die geplanten Rechtsverschärfungen verherrlicht und glorifiziert, ist nachvollziehbar. Sie passen voll in das Weltbild des LSG. Denn es nicht davon auszugehen, dass dort die Vorschlagsliste unbekannt ist. Da es sich aber angeblich um ausgebildete Juristen handelt, müssen diese die darin enthaltenen Verschärfungen eindeutig erkannt haben. Darüber hinaus ist es in einer Demokratie höchst bedenklich, wenn sich Gerichte im Vorfeld von geplanten Gesetzesänderungen öffentlich dazu äußern, egal in welchem Zusammenhang.

Viel bedeutender ist diese Aussage aber aus einem anderen Blickwinkel. Aus ihr lässt sich unzweifelhaft ableiten, dass das LSG NRW weiterhin nicht einmal ansatzweise daran denkt, seiner eigentlich Aufgabe; nämlich der Kontrolle der Exekutive und Legislative; nachzukommen. Hier gibt es wieder einmal ein öffentliches Statement der Judikative, dass deren unheilvolle Verbrüderung mit den anderen Gewalten verdeutlicht.

Zudem wird durch diese Aussage die Marschrichtung des LSG NRW offenkundig. Leistungsberechtigte brauchen sich wohl kaum Hoffnung machen, dass es ihnen bei Rechtsmitteln gegen die dann eingeführten Rechtsverschärfungen dort in irgendeiner Form Gerechtigkeit widerfahren wird.

Das LSG NRW und seine erhobene „Kritik“

Die vorgeschobene Kritik am Gesetzgeber, er sei „sichtlich bemüht, eine Einzelfallgerechtigkeit durch kleinteilige Detailregelungen“ zu schaffen, hat lediglich eine Alibifunktion im Hinblick auf die innere Abwehrhaltung des LSG gegenüber Leistungsberechtigten. Denn genau durch diese als kleinteilig verbrämten Regelungen wurde tatsächlich zumindest etwas Einzelfallgerechtigkeit geschaffen. Nicht alle Lebenssituationen der Leistungsberechtigten gleichen sich. Und das dadurch mehr Klagen entstehen, ist als Berufsrisiko eines Sozialrichters zu werten. Es steht einem Landesozialgericht in einer Demokratie sicherlich zu, sich zu komplexen Gesetzen zu äußern. Aber eben besser nicht medienwirksam verbal in einer Presseerklärung, sondern in der Form von harten Fakten, also Urteilen, die dem Gesetzgeber seinen rechts- und verfassungsbrecherischen Murks namens SGB II regelrecht um die Ohren hauen.

Besonders pikant ist aber die Aussage des Herrn Nieding, dass er eine Bilanz zu 10 Jahren SGB II aus der Sicht der gesamtem NRW-Sozialgerichtsbarkeit zieht. Sie offenbart neben mangelndem Demokratieverständnis auch unwiderlegbar Kader- und Absolutismusdenken. Hierzu ein spöttischer Vorschlag: Warum legt sich das LSG NRW nicht eine eigene Hymne zu, die bei Urteilsverkündigungen „Im Namen des Volkes“ abgespielt wird? Die passende Historische existiert.

Herzlich Willkommen in der Demokratur (oder auch diktatorische Demokratie genannt)!

Renate Jaeger, früher Richterin am Bundesverfassungsgerichts, von 2004 bis 2009 Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, in Neue Justiz 1995, Seite 562f:

„Vielleicht wird man unabhängig, wenn man zuvor der Justiz als Rechtsanwalt ausgesetzt war. Vielleicht fördert es die innere Unabhängigkeit sogar, wenn Richter nur auf Zeit gewählt werden.”

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