§ 9 SGB X: Das Verwaltungsverfahren ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen
Hinsichtlich der Forderung „Einfache und zweckmäßige Durchführung“ sieht die Realität oft anders aus. Ein besonders anschauliches Beispiel, wie dieser Grundsatz der Beschleunigung durch das Essener JobCenter missachtet wird, bietet der folgende Fall:
Anfang März 2009 beantragt die Alleinerziehende Mutter die Übernahme von Heizkostennachzahlungen bei dem JobCenter in Höhe von 113 Euro. Diese wird Ende März zum Teil übernommen, der Großteil wird abgelehnt. Gegen diese Entscheidung reicht Sie durch ihren Anwalt Widerspruch ein. Es ist der 07. April 2009. Wie lange würde nun eine Verwaltung brauchen, diesen Widerspruch mit einem überschaubaren Sachverhalt zügig und zweckmäßig zu bearbeiten? Zwei Tage, zwei Wochen?
In der Tat ist bis zum heutigen 29.06.2010 also über ein Jahr keine Entscheidung getroffen worden. Und an dem nötigen Nachdruck durch die Mutter und auch des Sozialgerichts fehlte es nicht: Zunächst erinnerte die Mutter das JobCenter nach zwei Monaten an ihren Widerspruch und wies darauf hin, dass es eine Frist von drei Monaten für die sogenannte Untätigkeitsklage gibt, wenn bis dahin nicht entschieden sei (§ 88 Abs. 2 SGG). Keine Reaktion. Dann wurde im Juli 2009 besagte Klage bei dem Sozialgericht eingereicht und auch am 17.07.09 dem JobCenter zugestellt. Spätestens hier hätte bei der Behörde eine Warnlampe angehen müssen, denn die Untätigkeit war nun bereits Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Auf die Klage reagierte aber niemand aus der Rechtsstelle, sodass der Richter am 27.08.09, 30.09.09, 26.10.09, 04.12.09 und letztmalig 07.01.10 nochmals daran erinnerte, dass wenigstens die Verwaltungsakte an das Gericht zu übersenden sei. Nach der Klagezustellung also fünf weitere Erinnerungen des Gerichts, ohne dass eine Reaktion des JobCenters erfolgt wäre. Das Gericht entschied dann per Gerichtsbescheid am 25.05.10 über die Klage. Aber auch dieses „Urteil“ blieb bislang ohne Beachtung, sodass nun ein Zwangsgeld gegen das JobCenter beantragt werden musste.
Auf der anderen Seite ist die öffentliche Hand stets bemüht, die Kosten in den Griff zu bekommen, welche durch diese unnötigen Verfahren entstehen. Denn in dem obigen Fall hat das JobCenter durch seine Untätigkeit Kosten in dem Gerichtsbetrieb verursacht, welche nicht unerheblich sein dürften. Denn dort waren und sind Richter und weitere Justizangehörige damit beschäftigt, Schreiben zu fertigen, Fristen zu notieren, Akten zu verwalten. Die Arge ist jedoch von einer Beteiligung an den Gerichtsgebühren völlig freigestellt (§ 64 Abs. 3 S. 2 SGB X). Einzig die Kosten des Rechtsanwalts sind in solchen Verfahren eine Belastung für die Behörde.
Nun gibt es eine Tendenz der Sozialgerichte an eben diesem Punkt Einschränkungen vorzunehmen, um die JobCenter noch weiter von den Folgen ihres Handelns zu entlasten. Die Gerichte erkennen in Eilverfahren seit kurzem keine Verfahrensgebühr mehr an, da keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Der Wortlaut des Gesetztes sagt eigentlich eindeutig, dass bei Anerkenntnissen diese Gebühr zusätzlich anfällt. Jetzt soll diese Vorschrift „teleologisch reduziert“ ausgelegt werden. Im Ergebnis wird es für Anwälte nun noch schwieriger, kostendeckend Eilverfahren im Sozialbereich zu übernehmen. Die Betroffenen werden Verfahrensweisen wie der oben geschilderten noch häufiger schutzlos und ohne Unterstützung ausgesetzt sein. Das JobCenter wird noch weniger als bislang an den Folgen seiner Fehler finanziell beteiligt. Die Bindung der Verwaltung an die Rechtsprechung, wie sie in Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes niedergelegt ist, gerät in diesem Bereich zunehmend in Gefahr, wenn den Betroffenen keine professionelle juristische Hilfe als Gegengewicht zu der Verwaltungspraxis gegenüber steht. Die Beschneidung der Rechtsanwälte, die als unabhängiges Organ der Rechtspflege mitwirken, solchen Missständen entgegenzuwirken, bedeutet letztlich auch für die Gerichte ein Verlust von Qualität.
(Das Urteil ist hier nachzulesen: SG_DUI_10_05_25)
Zu einer neuen Stilblüte hat die „zügige“ Bearbeitung des Job Centers nun geführt. In einem
Schreiben des Landessozialgerichts wird sogar zum Superlativ gegriffen, wo eigentlich keiner vorgesehen ist. Aber eine Behörde, die nicht auf gerichtliche Schreiben reagiert, ist ja eigentlich auch nicht vorgesehen.