Leipziger Sozialgericht bestätigt neue MOG der Stadt Leipzig
In Leipzig haben Leistungsberechtigte bei der „berüchtigten“ Frage der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (KdU) einen herben Rückschlag erlitten. Denn in zwei ER-Verfahren hat das Sozialgericht Leipzig die zum 01. Januar 2015 eingeführten neuen Mietobergrenzen für Alleinstehende der Stadt Leipzig als rechtmäßig bestätigt.
Und das unter Bezugnahme auf eine vom Sächsischen LSG entwickelte Rechtsauslegung, die höflich formuliert, abenteuerlich ist. Durch diese zeichnet sich eine Tendenz in der sächsischen Sozialrechtsprechung im Bereich des SGB II (Hartz IV) ab, die hoffentlich baldmöglichst durch das Bundessozialgericht gestoppt wird.
Leipzig – Bestätigung der neuen MOG
Wie bei uns üblich, zitieren wir zuerst die Pressemitteilung des SG Leipzig dazu:
03.03.2015 – Neue Leipziger Mietobergrenzen rechtmäßig
In zwei Beschlüssen hat das Sozialgericht Leipzig die seit dem 18. Dezember 2014 für das Gebiet der Stadt Leipzig gültigen Mietobergrenzen für Bezieher von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II – „Hartz IV“) und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) als rechtmäßig bestätigt (Beschluss vom 19. Februar 2015 – S 19 AS 4859/14 ER; Beschluss vom 2. März 2015 – S 5 SO 5/15 ER).
Der Antragsteller im Verfahren S 19 AS 4849/14 bewohnt eine 56,52 qm große 2-Zimmer-Wohnung in Leipzig, für die er monatliche Mietkosten von 468,00 € aufzubringen hat (Grundmiete: 355,00 €, kalte Betriebskosten: 56,50 €, Heizkosten: 56,50 €). Nach einer vorangegangenen Kostensenkungsaufforderung werden ihm durch das Jobcenter Leipzig ab dem 1. Januar 2015 Leistungen für Unterkunft und Heizung nur noch in Höhe von monatlich 326,07 € gewährt (Grundmiete: 213,07 €, kalte Betriebskosten: 56,50 €, Heizkosten: 56,50 €). Dabei bringt das Jobcenter die sich aus der zum 18. Dezember 2014 in Kraft getretenen neuen Verwaltungsrichtlinie der Stadt Leipzig ergebenden Mietobergrenzen für einen Ein-Personenhaushalt zur Anwendung.
Der Antragsteller im Verfahren S 5 SO 5/15 ER bewohnt eine 58 qm große 2-Zimmer-Wohnung in Leipzig, die insgesamt 415,00 € monatlich kostet (Grundmiete: 295,00 €, kalte Betriebskosten: 50,00 €, Heizkosten: 70,00 € monatlich). Er bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und durch die Stadt Leipzig ergänzend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Für Unterkunft und Heizung wird dabei nach vorangegangener Kostensenkungsaufforderung ab Januar 2015 entsprechend der oben genannten Richtlinie ebenfalls nur eine Bruttokaltmiete von 269,58 € (Grundmiete: 213,07 €, kalte Betriebskosten: 56,50 €) zuzüglich 70,00 € Heizkosten anerkannt.
Die auf Gewährung von höheren Leistungen gerichteten Anträge in den beiden Eilverfahren blieben erfolglos. Die zuständigen Kammern des Sozialgerichts waren der Ansicht, dass die in der Verwaltungsrichtlinie der Stadt Leipzig für einen Ein-Personenhaushalt vorgesehene Mietobergrenze auf einem schlüssigen Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts beruhe. Unter Heranziehung der dem Mietspiegel Leipzig 2014 zugrunde liegenden Daten sowie der Daten aus den Betriebskostenübersichten der Betriebskostenbroschüre Leipzig 2012 seien die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung korrekt ermittelt worden. Abgesichert werde diese Angemessenheitsgrenze zusätzlich durch einen Abgleich mit den Angebotsmieten aus einer Datenerhebung anhand der wichtigsten Internetportale. Auch unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums der kommunalen Träger bei der Festlegung von Mietobergrenzen sei das so ermittelte Ergebnis nicht zu beanstanden.
Beschluss vom 2ten März 2015 – S 5 SO 5/15 ER
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Beschluss vom 19ten Februar 2015 – S 19 AS 4859/14 ER
[Download,*.pdf, 0,22 MB]
Leipzig – Neue MOG
Vielleicht werden sich nun einige unserer Leser fragen, warum wir über ein Urteil aus Leipzig zur Mietobergrenze berichten?
Eigentlich ganz einfach, denn schon in der Bibel heißt es so schön: „Wehret den Anfängen!“.
Das Urteil stellt mal wieder ein Paradebeispiel für die uns bereits mehrfach angeprangerte Verbrüderung von Sozialgerichten und Kommunen in der BRD dar. Denn dem aufmerksamen Leser ist sicherlich nicht der letzte Satz der Pressemitteilung „Auch unter Berücksichtigung des Gestaltungsspielraums der kommunalen Träger bei der Festlegung von Mietobergrenzen sei das so ermittelte Ergebnis nicht zu beanstanden.“ entgangen. So eine hanebüchene Rechtfertigung in einer Beschlussbegründung ist uns so bisher noch nicht über den Weg gelaufen. Wenn man sich die weiteren Ausführungen der Kammern des SG Leipzig so durchliest, kommt einem der Verdacht auf, dass diese die gesamte Rechtsprechung des BSG gezielt „umkonstruieren“, um eine entsprechende Rechtfertigung in ihrem Sinne zu erhalten. Hierzu verweisen wir unsererseits auf ein altes, aber nie revidiertes Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG, 10.07.1958 1 BvF 1/58 (Bestimmtheit von Rechtsverordnungen), nach welchem eine Rechtsverordnung, die den Umfang der Grundrechtsbeschränkung völlig dem Verwaltungsermessen überlässt, gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt. In Sachsen scheinen in der Sozialrechtsprechung genauso wie in Bayern die Uhren tatsächlich etwas anders zu gehen.
Schädlich sind solche Urteile allemale dahingehend, dass sie den Trend vieler Kommunen, mit Tricksereien diverse BSG-Urteile zu der Angemessenheit der KdU zu umgehen, bestärken. Hier im Ruhrgebiet versuchen z. Zt. z.B. Bochum und Gelsenkirchen genau diese Masche anzuwenden. Die Kommunen spielen damit alle bewusst auf Zeit, denn bis die ersten Betroffenen sich durch die Instanzen geklagt haben, dauert es halt. Und in diesem Zeitraum müssen die entsprechenden Kommunen dann nur den zu niedrigen, getürkten KdU-Satz übernehmen. Dazu kommt, dass nur Betroffene ggfs. mit einer späteren Rückerstattung rechnen können, die rechtzeitig Rechtsmittel gegen diese Vorgehensweise eingelegt haben. Erfahrungsgemäß ist die Anzahl aber relativ gering und genau das wissen auch die Kommunen nur zu gut.
Es steht einem Sozialgericht in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sicherlich zu, andere Rechtsauffassungen zu vertreten als oberste Bundesgerichte. Jedoch bedarf das dann ausführlicher und genau begründender Darlegungen und Argumente. Selbst unter Berufung auf die in den Beschlussbegründungen angeführten Urteile des LSG Sachsen kommt uns das aber zweifelhaft vor. Hier erscheint uns der Auslegungsspielraum eines Sozialgerichtes eindeutig überschritten.
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen Sozialgerichte das anders handhaben und auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit drängen. Dies musste z.B. u.a. auch die Senatsverwaltung des Landes Berlin erkennen, die in einem gleichgelagerten Verfahren vor dem LSG Berlin-Brandenburg durch ihren Vertreter Folgendes zu Protokoll geben ließ (PDF, Seite 6):
Richtig sei, dass der Gesetzgeber im Bereich der Sicherung des Existenzminimums, welches auch den Bedarf an Unterkunft und Heizung umfasse, grundsätzlich selbst durch Gesetz die konkretisierenden Regelungen bzgl Tatbestand und Rechtsfolge treffen müsse. Zwar sei hier die Verwaltung zur Bestimmung durch Rechtsverordnung ermächtigt worden, damit habe sich der Gesetzgeber aber nicht seinen Pflichten entzogen, da er der Verwaltung keinen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt habe. Vielmehr habe die Verwaltung lediglich die bzgl. Verfahren und Datenerhebung näher konkretisierte Aufgabe, eine auf empirischen Erkenntnissen beruhende Feststellung zur Handhabung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit zu treffen.
Das SG Leipzig und die Produkttheorie
Hinzu kommt das sich die vom SG Leipzig angeführte Angemessenheitsgrenze aus der vom BSG entwickelten „Produkttheorie“ ergibt. Hier haben wir so ein wenig Zweifel, dass das SG Leipzig diese richtig ausgelegt hat. Ganz zu schweigen davon, dass sie als Beschlussbegründung unangewendet bleibt. Andere Sozialgerichte haben die Zeichen der Zeit bereits längst verstanden, so z.B. das SG Mainz bereits im Jahr 2012. Wir zitieren:
- Die Konkretisierung des Angemessenheitsbegriffs des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum „schlüssigen Konzept“ ist nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, wie es im Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010 (Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) näher bestimmt worden ist.
- Für eine Bestimmung des unterkunftsbezogenen Existenzminimums durch am einfachen Wohnstandard orientierte Mietobergrenzen fehlt es an einer den prozeduralen Anforderungen des BVerfG genügenden und hinreichend bestimmten parlamentsgesetzlichen Grundlage.
- Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.
In Leipzig können Betroffene wohl nur kontinuierlich den weiteren Klageweg beschreiten und sich nicht entmutigen lassen. Und die Hilfe von ortsansässigen Erwerbsloseninitiaven suchen.
Nichts, dem die Gerechtigkeit mangelt, kann moralisch richtig sein.
Marcus Tullius Cicero (106 – 43 v. Chr.), römischer Redner und Staatsmann
Richter sind ja auch nur Menschen.
Dass sie käuflich sein könnten, hab ich mir nur gedacht…
Danke übrigens für die Analyse – veröffentlicht…
Nicht rechtsgültig….Klagen !
Karlsruhe klagen !
Das sind schlecht formulierte Klagen im Eilverfahren. Sie wurden einfach nur abgebuegelt. Da muss ein Gutachten her und ist nicht innerhalb 3 Monate zu entscheiden. Das ist bis heute nicht entschieden.