Obrigkeit in Deutschland – Sie lässt grüssen!

ObrigkeitObrigkeit – Auch ein deutsches Sozialgericht ist ihr wohl unterworfen

Es ist ja hinlänglich bekannt, dass im Süden Deutschlands die Uhren etwas anders gehen. Insbesondere zu der Bedeutung des Wortes Obrigkeit und das Denken dazu. Das scheint auch die Spruchkörper der Sozialgerichte zu betreffen. Denn heuer wollen wir mal wieder ein paar kurze Anmerkungen zu einem Beschluss aus Heilbronn, also erneut Baden-Württemberg, machen. Um es vorweg kurz zu fassen, die mit dem SGB II mitimplementierte Erziehungsfunktion Erwachsener im guten Deutschen Geiste schlägt hier wieder einmal voll zu.

Obrigkeit – Denkwürder Beschluss?

Hier nun erst einmal der Beschluss des SG Heilbronn:

Pressemitteilung vom 26.11.2014

Datum: 26.11.2014

Kurzbeschreibung: Befristetes Hausverbot für Hartz IV-Empfängerin im Jobcenter bereits bei erstmaliger Störung des Hausfriedens!

Die 30jährige Hartz IV-Empfängerin M. aus Neckarsulm sprach am 17. Oktober 2014 ohne vorherige Terminabsprache beim Jobcenter Landkreis Heilbronn vor und verlangte, ihr sofort die bereits bewilligten Sozialleistungen in bar auszuzahlen. Auf die Bitte, im Wartebereich Platz zu nehmen, wurde M. äußerst ungehalten. Zu einem hinzugerufenen Sicherheitsmann rief sie „Was möchtest du, du Möchtegernglatzkopf?“ Das Jobcenter erteilte M. sodann einige Tage später ein für knapp zwei Monate befristetes Hausverbot und ordnete dessen Sofortvollzug an. Dem widersprach M.: Der Präventivcharakter des Hausverbotes verbiete es, sie für vorangegangenes Verhalten zu bestrafen. Zudem habe es sich bei ihr nur um eine „einmalige Taktlosigkeit“ gehandelt.

Vor dem Sozialgericht Heilbronn begehrte M., die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen das Hausverbot wiederherzustellen. Ihr Eilantrag blieb erfolglos: Zwar müsse eine Behörde auch mit schwierigen Besuchern zurechtkommen und diese ihr Anliegen ungehindert vortragen lassen. Vorliegend habe M. aber Dienstablauf und Hausfrieden durch ihr rücksichtsloses Verhalten nachhaltig gestört. Das Hausverbot habe hier eine Warnfunktion, derartiges Verhalten bereits vom ersten Vorfall an nicht zu dulden. Es sei hier auch verhältnismäßig, weil es auf knapp zwei Monate befristet sei und M sich weiterhin schriftlich und telefonisch an ihren Sachbearbeiter wenden könne.

Az.: S 10 AS 3793/14  M. ./. Jobcenter Landkreis Heilbronn (Beschluss vom 19. November 2014).

Obrigkeit und unsere Gedanken zu diesem Beschluss

Ob das in der Pressemitteilung geschilderte Verhalten der Leistungsberechtigten wirklich schon als Hausfriedensbruch gewertet werden kann, mag dahingestellt bleiben. Denn nach dem Wortlaut der Pressemitteilung wurde ein Sicherheitsmann hinzugerufenen, der genau für solche Fälle da ist. Also wurde anscheinend kein Mitarbeiter des JobCenters tatsächlich erheblich in seinem Dienstablauf gestört. Sie hat anscheinend nur nicht der deutschen Obrigkeit in Form des JobCenters genug Respekt gezollt. Das war wohl ihr eigentliches Vergehen und damit ein Sakrileg.

Zwar geht der Ausdruck „Du Möchtegernglatzkopf“ in eine bestimmte Richtung, nur dieser Ausdruck dürfte nicht ehrverletzend sein, denn schon mehrere höherinstanzliche Gerichte haben festgestellt, dass Ausdrücke in dieser Richtung keine Beleidigung, sondern lediglich Bewertungen darstellen, die somit nicht strafbewehrt sind (vgl. hierzu auch OLG Frankfrut, Beschl. v. 20.03.2012 – 2 Ss 329/11).

Darüber hinaus hat das BVerfG höchstselbst festgestellt:  „Eine Meinungsäußerung wird nicht schon wegen ihrer herabsetzenden Wirkung für Dritte zur Schmähung. Auch eine überzogene und selbst eine ausfällige Kritik macht für sich genommen eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Eine herabsetzende Äußerung nimmt vielmehr erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht“ (vgl. hierzu BVerfG, 26.06.1990 – 1 BvR 1165/89).

Hinzu kommt, dass laut der Presseerklärung die Leistungsberechtigte am 17. Oktober 2014 vorstellig wurde und die Barauszahlung ihrer Sozialleistung verlangte. Demnach ist davon auszugehen, dass es sich wohl um die Oktoberleistung handelte. Das alleine spricht schon Bände. Siebzehn Tage nach Fälligkeit hat es das JobCenter Landkreis Heilbronn anscheinend nicht geschafft, ihr die bereits rechtskräftig bewilligten Leistungen anzuweisen.

Das eine Leistungsberechtigte dann ungehalten war, ist mehr als verständlich. Deshalb stellen wir uns die Frage, wie der Richter reagiert hätte, wenn sein Gehalt aus dem Vormonat zu diesem Datum noch nicht da gewesen wäre? Ob auch er das unter dem Kapitel „Die Obrigkeit hat immer Recht“ verbucht hätte? Wir glauben wohl kaum.

Hier werden anscheinend mal wieder durch ein Organ der deutschen Justiz Opfer und Täter miteinander verwechselt.

Obrigkeit – Doch etwas Gutes an diesem Beschluss

Zwar bestätigt dieser Beschluss eine unsägliche Praxis, die mittlerweile im Alltag der JobCenter eingezogen ist, nämlich mit Kanonen auf Spatzen zu schießen und bei der geringsten Kleinigkeit ein Hausverbot zu verhängen. Denn die Leistungsberechtigten müssen ja schließlich im Sinne der Obrigkeit erzogen werden.

Dennoch hat die Beschlussbegründung etwas Gutes.:

Die spruchfällende Kammer attestiert ausdrücklich, dass eine Behörde, also ein JobCenter, seinen neudeutsch so schön genannten und ggfs. als schwierig zu bezeichnende „Kunden“ die Gelegenheit geben muss, ihre Anliegen vorzutragen.

Wer also aus welchen Gründen auch immer in einem JobCenter abgewiesen wird, sollte höflich auf diesen Beschluss verweisen. Um so sein Anliegen vorbringen zu können.

Obrigkeit – Im Gleichschritt Marsch!

Unabhängig von der juristischen Bewertung ist an dieser Pressemitteilung wieder einmal etwas ganz anderes auffällig:

Wie unterschwellig und subversiv hier Leistungsberechtigte nach dem SGB II durch ein deutsches Sozialgericht in aller und für die Öffentlichkeit diskriminiert und stigmatisiert werden. Das zeigt alleine der Sprachgebrauch „Die 30jährige Hartz IV-Empfängerin…..“. Ein deutsches Sozialgericht und ebenso dessen Pressestelle sollte es eigentlich besser wissen. Der Bezug von Leistungen nach dem SGB II (gemeinhin Hartz 4 genannt) ist ein verfassungsgemäß und gesetzlich verbriefter Rechtsanspruch. Und stellt somit demnach keine staatliche Almose dar. Was aber genau der Sprachgebrauch „Hartz IV-Empfängerin“ intendiert, denn in der breiten Öffentlichkeit wird damit etwas Negatives und Schmarotzerisches verbunden.

Außerdem werden unserer Einschätzung nach hier mal wieder selbst durch die Justiz Klischees bedient.

Es fängt ja schon mit der Kurzbeschreibung an, die die Pressemitteilung einleitet: „Befristetes Hausverbot für Hartz IV-Empfängerin im Jobcenter bereits bei erstmaliger Störung des Hausfriedens!“. Man setzt am Ende eines Satzes im Allgemeinen nur ein Ausrufezeichen, wenn man etwas besonders betonen und die Wirkung des zuvor Niedergeschriebenen verdeutlichen möchte. Die staatliche Suffleuse lässt grüssen!

Dazu kommt die Betonung auf „sprach ohne vorherige Terminabsprache vor“, ja, wofür ist denn dann der Empfang eines JobCenters da? Eigentlich genau für solche Angelegenheiten.

Im Sinne des Neutralitätsgebotes, dem auch ein Sozialgericht unterliegt, hätte man die gesamte Presseerklärung anders formulieren müssen.

„Eine besonders lächerliche Impertinenz solcher anonymer Kritiker ist, daß sie wie die Könige per Wir sprechen, während sie nicht nur im Singular, sondern im Diminutiv, ja im Humilitiv reden sollten: Meine erbärmliche Wenigkeit, meine feige Verschmitztheit, meine verkappte Inkompetenz, meine geringe Lumpazität.“

– Arthur Schopenhauer – deutscher Philosoph 1788 – 1860

 

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