Kritisch zu betrachtender SG-Beschluss aus Konstanz

kritischWieder einmal muss ein Beschluss vom SG Konstanz kritisch beurteilt werden

Das SG Konstanz scheint sich in der letzten Zeit als ein Sozialgericht herauszukristallisieren, dass es Leistungsberechtigten im wahrsten Sinne des Wortes sehr schwer zu machen scheint. Aus diesem Anlaß wollen wir uns erneut mit einem Beschluss dieses Gerichts kritisch beschäftigen. Leider ist dieser Beschluss wieder auch einmal nicht in den frei zugänglichen juristischen Datenbanken zu finden, weshalb wir auf die Presseerklärung des SG Konstanz dazu zurückgreifen müssen.

Hier nun die kritische Pressemitteilung

Keine Heizgeräte bei warmen Füßen

„Die Antragstellerin lebt in Konstanz und bezieht Arbeitslosengeld II. Mitte Oktober 2013 beantragte sie die Gewährung eines Darlehens zur Anschaffung zweier Infrarotheizgeräte, da die vorhandenen Heizquellen zum Beheizen der ganzen Wohnung nicht ausreichen würden. Nachdem das Jobcenter Konstanz den Antrag abgelehnt hatte, verfolgte die Antragstellerin ihr Anliegen beim Sozialgericht Konstanz mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz weiter. Das Jobcenter Konstanz veranlasste daraufhin entsprechende Ermittlungen durch seinen Außendienst. Dieser stellte bei seinem Hausbesuch Ende November 2013 fest, dass die Wohnung gut temperiert war und die Antragstellerin dementsprechend auch barfuß in der Wohnung herumlief und nur dünne Bekleidung trug – und das sogar, obwohl die vorhandenen Heizquellen noch nicht mal in Betrieb waren. Im Hinblick auf dieses Ermittlungsergebnis lehnte das Sozialgericht Konstanz den Eilantrag schließlich ab (Az. S 5 AS 2939/13 ER).“

Unsere kritischen Anmerkungen

Wir haben uns mal ein paar kritische Gedanken zu diesem Beschluss gemacht, denn für uns befinden sich so einige Ungereimtheiten in dieser Pressemitteilung.

Zunächst einmal ist anzuführen, daß es laut § 103 SGG den Richtern alleine zusteht, über die konkrete Ausübung des Untersuchungsgrundsatzes zu entscheiden. Darüber hinaus sind Richter an Sozialgerichten aber gem. § 106 SGG an den Beweisermittlungsgrundsatz gebunden. Wie wichtig dieser tatsächlich wollen durch die Zitierung des entsprechenden Paragraphen des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verdeutlichen:

§ 106 SGG

  1. Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

  1. Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

  2. Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1. um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,

2. Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,

3. Auskünfte jeder Art einholen,

4. Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,

5. die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,

6. andere beiladen,

7. einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

  1. Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend

Nun unsere kritische Betrachtung:

So wie sich dieser Fall aber anhand der Pressemitteilung darstellt, wurde hier anscheinend mal wieder der Bock zum Gärtner gemacht!

Es ist zuerst anzumerken, dass es sich um ein sog. ER-Verfahren; also im allgemeinen Sprachgebrauch um ein Eilverfahren; gehandelt hat, bei dem sich in der Praxis etwas andere Formularien und Regularien in der Beweisaufnahme etabliert haben. Dennoch ist es unsere Überzeugung, dass anscheinend keine wirklich zweifelsfrei Beweiserhebung stattgefunden haben kann.

Denn der Außendienst des JobCenter, das zudem in diesem Verfahren der Antragsgegner war, wurde dem Wortlaut dieser Presseerklärung nach quasi zum Gerichtsgutachter bestellt. Somit hatte dieser Außendienst durchaus mehr als ein berechtigtes Interesse daran, dass das Verfahren zu Gunsten des JobCenters ausgeht. Damit könnte unserer Auffassung nach die Kammer des SG, die sich für diesen Beschluss verantwortlich zeichnet, das Gebot der richterlichen Neutralität, das sich aus Art. 97 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Menschenrechtskonvention ergibt, möglicherweise missachtet haben.

Hinzu kommt, dass es laut unserem Grundgesetz eine sog. Gewaltenteilung gibt. Die besagt, dass es die Aufgabe der Judikative (Gerichtsbarkeit) ist, die Legislative (Gesetzgeber) und die Exekutive (ausführende Gewalt = Verwaltung) zu kontrollieren. Folgt ein deutsches Sozialgericht dem „Gutachten“ einer beklagten Behörde, ohne erkennbar eigene Ermittlungen zu veranlassen und macht dieses zweifelhafte Gutachten auch noch zu seiner Entscheidungsgrundlage, kann das unserer Ansicht nach als eine Verletzung der Gewaltenteilung gewertet werden.

Darüber hinaus muss man weiterhin sehr kritisch anmerken, dass das subjektive Empfinden der Mitarbeiter eines JobCenters keinesfalls die Anforderungen an antizipierte Sachverständigengutachten erfüllen, die von den Gerichten in normähnlicher Weise angewandt werden könnten (vgl. hierzu BSG Urteil vom 22.11.2011 – B 4 AS 138/10 R – SozR 4-4200 § 21 Nr. 14 und BSG Urteil vom 14.02.2013 – AZ B 14 AS 48/12 R – Rn. 16). Auch kann hier unser Rechtsauffassung nach ebenso nicht ein prozeßökonomisches Interesse durchdringen. Denn es wurde ein vermeintlicher Augenscheinbeweis eindeutig abhängiger Dritter und nicht ein unwiderlegbarer Tatsachenbeweis unabhängiger Dritter zur Entscheidungsgrundlage gemacht. Dazu stellt sich uns die Frage, ob die Antragstellerin über dieses Procedere in Kenntnis gesetzt und damit einverstanden war. Dazu verlautet rein gar nichts aus der Presseerklärung.

Ebenso ist es dabei formaljuristisch eigentlich vollkommen tatsachenunerheblich, ob die Antragsstellerin wie es in der Pressemitteilung so schön heißt „nur dünn bekleidet, barfuß und ohne eingeschaltete Heizquellen in der Wohnung angetroffen wurde“, denn es finden sich in der Pressemitteilung keinerlei Hinweise dazu, ob an jenen Tag zu der Uhrzeit des Besuchs z.B. die Sonne schien, wie hoch die tatsächliche Außentemperatur war und ob die Wohnung möglicherweise mit großzügigen Fensterflächen ausgestattet ist, die bekanntlichermaßen eine Wohnung bei Sonnenschein deutlich aufheizen können.

Kritisch ist auch zu beurteilen, dass in der Pressemitteilung des SG nichts über die Ermittlungen des JobCenter-Außendienstes mitgeteilt wird, was die Fakten in dieser Wohnung bei deutlich tieferen Temperaturen und z.B. wolkenverhangenem Himmel betrifft. Denn Internetrecherchen unserseits haben ergeben, dass in Konstanz Ende November 2013 Tageshöchsttemperaturen zwischen 6 und 8º C herrschten. Daher hätte nur ein ausgewiesener Fachmann die Verhältnisse beurteilen können und genau dafür finden sich keine Hinweise. Vorallendingen vermissen wir im Hinblick auf die als eindeutig unterschwellig diskriminierend formulierte Überschrift der Presseerklärung „Keine Heizgeräte bei warmen Füßen“ einen Hinweis auf die Geschosslage der Wohnung der Antragstellerin. Denn jedem kritisch und normal denkendem Menschen ist klar, dass eine Wohnung im ersten oder zweiten Stock durchaus derart durch die jeweils unter ihr liegende Wohnung mit beheizt wird, das deswegen ein halbwegs warmer Fußboden vorhanden sein kann. Physikalisch gesehen steigt warme Luft nach oben.

Kritischer Hausbesuch

Weiterhin ist für uns auch auffällig, dass sich in der Pressemitteilung keine Angaben dazu wiederfinden, ob der angeführte und als Rechtfertigung dienende Hausbesuch durch den Außendienst des JobCenters rechtlich korrekt war. Hier könnten durchaus Zweifel angebracht sein, denn die Formulierung „traf die … barfüßig und leicht bekleidet an“ spricht zumindest dafür, dass dieser „Hausbesuch“ wohl nicht angekündigt war. Schließlich ist es hinlänglich bekannt, dass viele JobCenter die verfassungsgemäß verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung nicht zu kennen scheinen. Vorallendingen wird in den seltensten Fällen darauf hingewiesen, dass man ein Recht hat, das Betreten der Wohnung durch Außendienstmitarbeiter eines JobCenters zu verweigern. So wie die Pressemitteilung abgefasst ist, können wir uns nicht des Eindrucks erwehren, dass sich ein deutsches Sozialgericht zum willigen Erfüllungsgehilfen eines JobCenters gemacht haben könnte.

Kritisches Resumee:

Von daher ist diese Pressemitteilung aus unserer kritischen Blickweise betrachtet mehr als fragwürdig. In ihrer Darstellung befinden sich dubiose Antragsabweisungsbegründungen, die dazu angetan sind, hier gegenüber der Öffentlichkeit eine Leistungsberechtigte fast abwertend darzustellen. Es wird von der Formulierungswahl her der Anschein erweckt, eine Leistungsberechtigte habe Leistungsmißbrauch betreiben wollen. Und das ohne dass man gegenteilige Tatsachenbeweise durch das SG bei der Verbreitung in der Öffentlichkeit anführt. Das sollte ein deutsches Sozialgericht eigentlich besser und vorallendingen deutlich wertneutraler im Sinne des Neutralitätsgebotes können.

Und bedauerlicherweise verlinken bundesweit viele Fachanwälte für Sozialrecht diesen Beschluß unkommentiert und nicht hinterfragt. Das ist der eigentliche Skandal.

Die Sammlung der Fehlurteile bundesdeutscher Gerichte spiegelt eine Gedankenführung bei Richtern wider, die mit demokratischem Verständnis nichts gemein hat; gleichwohl setzt keine Partei eine Änderung des Zustandes der dritten Gewalt in die erste Reihe ihrer Forderungen.“

Ulrich Wickert – Tagesschausprecher

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