Mindestlohn – Und die neue Strategie der gezielten Aufweichung
Eine weitere „Aufweichung“ des Mindestlohns zeichnet sich ab. Das neuste Motto hierbei lautet: „Die Ausnahme der Ausnahme der Ausnahme“.
Durch das Mindestlohngesetz hatte aufgrund der darin enthaltenen Dokumentationspflichten der Arbeitgeber auch das Arbeitszeitgesetz wieder an Bedeutung gewonnen. Nunmehr haben Frau Nahles, unsere allseits so beliebte Arbeitsministerin, und ihre Länderkollegen ein faulen Kompromiss ausgehandelt, durch den das Arbeitszeitgesetz weiter ausgehebelt wird. Profitgier und Ausbeutungswillen haben bei Frau Nahles scheinbar immer noch die Leitfunktion.
Mindestlohn und dessen gezielte „Umgehung“
Wie in der Einleitung bereits angedeutet, hat die verschworene Gemeinschaft der deutschen Arbeitsminister mal wieder durch die Hintertür eine Möglichkeit gefunden, den Mindestlohn auszuhebeln. Geht man davon aus, das der Mindestlohn auch als ein Teil des Arbeitsschutzes in Deutschland zu betrachten ist, wird deutlich, auf welch krummen Wegen nun wieder an ihm „gedreht“ wird.
Zur näheren Darstellung des Sachverhalts beziehen wir uns daher zuerst auf eine Meldung des Internet-Portals FinanzNachrichten.de:
Mindestlohn: Nahles kritisiert Unionspolitiker scharf
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) verschärft den Ton gegen die Kritiker am Mindestlohn aus den Reihen der Union. „Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Mindestlohn bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommt und in der Praxis gut umgesetzt werden kann – und nicht dem Koalitionspartner entgegenzukommen“, sagte Nahles im „Spiegel“.
Dabei wünsche sie sich Unterstützung „und nicht, dass sich Teile des Koalitionspartners vor den Karren einzelner Interessen spannen lassen, die den Mindestlohn aus Prinzip nicht wollen“. Aber das passiere gerade. Auf Grund der bisherigen Erfahrungen sehe sie keinen Anlass, das Gesetz zu ändern. Forderungen, wie die der bayerischen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), etwa die Mindestlohnkontrollen aussetzen, erteilte sie eine klare Absage. „Wer wie Frau Aigner fordert, die Kontrollen komplett auszusetzen, der lädt unverblümt zur Umgehung des Mindestlohns ein“, sagte Nahles. „Dafür sollte sie sich schämen.“ Zugleich sieht Nahles noch Klärungsbedarf an einigen Stellen. Allerdings hätten viele dieser Probleme „nicht direkt mit dem Mindestlohn zu tun“, sagte Nahles im „Spiegel“.
Bei Saisonarbeiten wie etwa in der Erntezeit im Sommer oder auf dem Bau sei die Beschränkung der Arbeitszeit auf zehn Stunden täglich im Arbeitszeitgesetz das eigentliche Probleme. Dafür habe man nun eine Lösung gefunden. Da die Bundesländer für die Ausführungsbestimmungen des Gesetzes zuständig seien, habe sie mit ihren Länderkollegen verabredet, so Nahles, „dass es für Ausnahmefälle bei der Saisonarbeit flexible Möglichkeiten geben soll, über die im Arbeitszeitgesetz generell vorgesehenen maximal zehn Stunden zu gehen“. Das sei ein Durchbruch und „beseitigt die meisten Schwierigkeiten, etwa für Schausteller oder Erntehelfer“.
© 2015 dts Nachrichtenagentur
Mindestlohn – Und die Dramaturgie für die Öffentlichkeit
Wenn man den Artikel so liest, kommt in einem das beklemmende Gefühl auf, dass hier die Schreiberlinge von Frau Nahles, die im Hintergrund agieren, eine regelrechte Dramaturgie für die Presse entwickelt haben. Ein vermeintlicher Koalitionsstreit wird genutzt, um der friedenssüchtigen deutschen Öffentlichkeit einen Kompromiss zu verkaufen, der sich beim näheren Hinsehen als weitere Aushebelung des Mindestlohns erweist.
Wie war das mit der Volksweisheit „Viele Jäger sind des Hasen Tod“?
Genau diese Erkenntnis ist auch ein Teilhintergrund des Kompromisses. Denn wenn man in einigen Bereichen die Zuständigkeiten bei der Kontrolle des Mindestlohns indirekt auf die vielen Bundesländer verteilt, anstatt sie beim Zoll als eigentlich zentral Zuständigen zu belassen, wird eine einheitliche und übersichtliche Kontrolle erschwert. Weder Journalisten noch anderweitig Interessierte werden sich die Mühe machen und bei jedem Bundesland nachzuforschen. Hier wird nach dem Motto agiert: „Aus den Augen, aus dem Sinn!“.
Mindestlohn – Die Aufweichung, weitere Hintergründe
Als besorgniserregend stufen wir die in der Meldung enthaltene Absichtserklärung ein, auch im Baugewerbe das Arbeitsschutzgesetz aufzuweichen. Denn das Baugewerbe ist ja gerade nicht bekannt dafür, sich gesetzeskonform zu verhalten. Dort blühen die Schwarzarbeit und undurchsichtige Verschachtelungen durch Subunternehmer und Werkverträge.
Auch darf nachgefragt werden, warum es nun plötzlich bei der Saisonarbeit zu einer Aushebelung des Arbeitsschutzgesetzes gekommen ist. Hier wurde der Wirtschaft und damit den Arbeitgebern eine Möglichkeit gegen, indirekt den Mindestlohn zu umgehen. Problematisch ist unserer Meinung nach auch die Tatsache, dass bei dem „gefundenen“ Kompromiss nur von der Saisonarbeit im Allgemeinen die Rede ist.
Denn wie definiert man Saisonarbeit?
Klassischerweise fallen unter diese Definition neben der Erntehilfe im Agrarbereich auch das Tourismus- und Hotel- und Gaststättengewerbe. Von diesen Wirtschaftszweigen wird in dem Artikel wohl bewusst nicht gesprochen. Es ist aber davon auszugehen, dass der „Kompromiss“ auch auf diese Branchen Anwendung finden wird und damit auch dort Möglichkeiten eröffnet werden, den Mindestlohn zumindest teilweise zu umgehen.
Allerdings gibt es glücklicherweise eine juristische Legaldefinition der Saisonarbeit. Dazu verweisen auf den Leitsatz eines Urteils des LSG Sachsen:
LSG Sachsen, 10.11.2011 – L 3 L 17/10
Amtlicher Leitsatz:
Die Legaldefinition des Saisonarbeiters in Artikel 1 Buchst. c der VO (EWG) 1408/71 stellt nach ihrem Wortlaut auf das einzelne saisonale Arbeitsrechtsverhältnis ab. Arbeitsverhältnissen von unterschiedlichen jahreszeitlich bedingten Arbeiten (hier der Wintersaison und der Sommersaison im Hotelerie- und Gaststättengewerbe) können nicht zusammengerechnet werden.
Wer uns für dumm verkaufen will, soll es bitte nicht dümmer tun, als wir selber sind.
© Walter Ludin (*1945), Schweizer Journalist, Redakteur, Aphoristiker und Buchautor, Mitglied des franziskanischen Ordens der Kapuziner